Zeitschaft: Meisterwerke der SF (German Edition)
Hecke saß. Plötzlich wurde ihr bewusst, dass das Klopfen von ihrem Haus kam. Heather oder Linda konnten es nicht sein, sie wären ums Haus herumgekommen. Sie drehte sich um. Regentropfen spritzten von den Blättern, als sie die Rosenbüsche streifte. Sie eilte über den Rasen und um die Haustür herum. An der Küchentür setzte sie den Eimer ab.
Eine schäbig gekleidete Frau mit einem Krug in der Hand wandte sich gerade von der Haustür weg. Sie sah aus, als hätte sie die ganze Nacht im Freien verbracht; ihr Haar war verfilzt, auf ihrem Gesicht waren Schmutzflecken zu sehen. Sie war etwa so groß wie Marjorie, aber dünner, und sie hatte hängende Schultern.
Marjorie zögerte, die Frau ebenso. Sie musterten einander über den U-förmig geschwungenen Kiesweg hinweg. Dann trat Marjorie einen Schritt vor.
»Guten Morgen.« Sie wollte noch sagen: »Kann ich etwas für Sie tun?«, unterließ es aber; sie war sich unschlüssig, ob sie für die Frau etwas tun wollte oder nicht.
»Morgen, Frollein. Können Sie mir vielleicht was Milch leihen? Ich hab nix mehr, und die Kleinen haben noch kein Frühstück gehabt.« Ihr Auftreten war selbstsicher, aber irgendwie nicht herzlich.
Marjories Augen verengten sich. »Wo kommen Sie her?«, fragte sie.
»Wir sind grade in die alte Farm unten an der Straße eingezogen. Nur’n bisschen Milch, Gnädigste.« Den Krug ausgestreckt, kam die Frau näher.
Die alte Farm – aber die ist doch verlassen, dachte Marjorie. Es müssen Squatter sein. Ihr Unbehagen wuchs.
»Wieso kommen Sie hierhin? Die Läden haben um diese Zeit schon geöffnet. Und an der Straße liegt eine Farm, wo Sie Milch kaufen können.«
»Aber, Gnädigste, Sie woll’n doch wohl nicht, dass ich meilenweit renne und die Kleinen warten lasse, oder? Sie kriegen’s zurück. Glauben Sie mir nicht?«
Nein, dachte Marjorie. Warum war die Frau nicht zu ihresgleichen gegangen? Nur ein paar Meter hinter ihrer Behausung standen ein paar kleine Siedlungshäuser.
»Tut mir Leid«, sagte sie entschlossen, »aber ich habe nichts übrig.«
Einen Moment lang standen sie Auge in Auge. Dann wandte die Frau sich auf das Gebüsch zu.
»Hierher, Rog«, rief sie. Ein großer, hagerer Mann tauchte zwischen den Rhododendronsträuchern auf. An der Hand zog er einen kleinen Jungen mit sich. Marjorie musste sich zusammenreißen, um ihre Angst zu verbergen. Sie stand starr, den Kopf ein wenig zurückgelegt, und versuchte den Eindruck zu erzeugen, die Situation unter Kontrolle zu haben. Der Mann trat neben die Frau. Marjories Nasenlöcher weiteten sich unmerklich, als sie den herben Geruch von Schweiß und Rauch aufnahm. Er trug eine Mischung von Kleidungsstücken, die aus vielen verschiedenen Quellen stammen mussten; eine Stoffmütze, einen langen gestreiften Collegeschal, Wollhandschuhe mit aufgetrennten Fingern, ein Paar blaugemusterte Espadrillen, bei denen eine Sohle sich schon löste, Hosen, die einige Zentimeter zu kurz und zu weit waren, und obendrein eine üppig bestickte Weste unter einer verschmutzten alten Vinyljacke. Er war wahrscheinlich in Marjories Alter, sah aber zehn Jahre älter aus. Sein Gesicht war ledrig, seine Augen waren tief eingesunken, und mehrere Tage alte Bartstoppeln bedeckten sein Kinn. Sie war sich des Kontrasts bewusst, den sie zu den beiden bildete: rosig und wohlgenährt, das kurze Haar vom Waschen weich, ihre Haut von Cremes und Lotions gepflegt, bekleidet mit, wie sie es nannte, »alten« Gartensachen: einem flauschigen blauen Wollrock, einem selbstgestrickten Sweater und einer Lammfelljacke.
»Denken Sie etwa, wir nehmen Ihnen ab, dass Sie keine Milch im Haus haben?«, knurrte der Mann.
»Das habe ich nicht gesagt.« Marjorie sprach gepresst. »Ich habe genug für mich und meine Familie, aber nicht mehr. Da unten sind genug andere Häuser, in denen Sie es versuchen können, aber ich würde vorschlagen, Sie gehen ins Dorf und kaufen Milch. Es ist nur eine halbe Meile. Tut mir Leid, dass ich Ihnen nicht helfen kann.«
»Nichts tut Ihnen Leid! Sie woll’n einfach nich helfen. Hochnäsig wie alle reichen Typen. Sie woll’n alles für sich behalten. Sehn Sie nur, was Sie da haben -’n großes, schönes Haus nur für sich allein, schätze ich. Sie wissen nich, wie hart das Leben für unsereins ist. Vier Jahre hab ich keinen Job gehabt und keine Wohnung, aber Sie haben’s bequem …«
»Rog!«, sagte die Frau warnend. Sie legte ihm die Hand auf den Arm. Er schüttelte sie ab und machte einen Schritt
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