Zeitschaft: Meisterwerke der SF (German Edition)
Stimmung plötzlich abzuschütteln. »Oder – wenn Pferde Würde wünschten, wären Reiter Bettler.« Er lächelte. »Ich mag solche umgewandelten Klischees. Sie auch?«
Diese abrupte, sprunghafte Art zu denken hatte Marjorie mit einem bestimmten Typ von Wissenschaftlern, den Theoretikern, zu assoziieren gelernt. Sie waren schwer zu begreifen, gewiss, aber interessanter als Experimentalphysiker wie ihr John. Sie erwiderte sein Lächeln. »Ihr Jahr in Cambridge hat Sie sicher aller Budgetsorgen enthoben, oder?«
»Hm. Ja, ich nehme an, hier ist es besser, in der Vergangenheit von anderen als in seiner eigenen zu leben. Ein hübscher Ort, um die Welt draußen zu vergessen. Die Muße des theoretischen Unterrichts habe ich genossen.«
»In Ihrem Elfenbeinturm? Dies ist eine Stadt träumender Turmspitzen, wenn ich das Gedicht richtig in Erinnerung habe.«
»Oxford ist die Stadt träumender Turmspitzen«, korrigierte er sie. »Cambridge hat mehr von schwitzigen Träumen.«
»Wissenschaftlicher Ehrgeiz?«
Er zog eine Grimasse. »Die Faustregel ist, dass man nicht mehr sehr viel erstklassige Arbeit leistet, wenn man die vierzig erst einmal überschritten hat. Meistens ist das natürlich falsch. Eine Menge großer Entdeckungen wurden in höherem Lebensalter gemacht. Aber im Durchschnitt fühlt man schon, wie einem die Fähigkeiten entgleiten. Wie bei Komponisten, schätze ich. Plötzliche Einfälle aus dem Nichts, solange man jung ist, und … und dann mehr ein Gefühl der Konsolidierung, das die Dinge überlagert, wenn man älter ist.«
»Diese Zeitkommunikation, an der Sie und John arbeiten, scheint sehr aufregend. Da steckt doch einiges drin.«
Greg blühte geradezu auf. »Ja, das ist mal wieder eine echte Chance. Ein brandheißes Gebiet, und keiner außer mir erschließt es. Hätten sie nicht den größten Teil der Abteilung für angewandte Mathematik und theoretische Physik geschlossen, würde ein Stoßtrupp blitzgescheiter junger Männer in dieses Gebiet ausschwärmen.«
Marjorie entfernte sich noch ein Stück von den übrigen Gästen und trat näher an das feucht-üppige Grün, das ihren Garten beherrschte. »Eigentlich wollte ich jemanden fragen«, begann sie mit einer Spur Unsicherheit, »der weiß, was diese Tachyonen von John überhaupt sind. Ich meine, er erklärt es mir schon, aber ich fürchte, mit meiner Kunstausbildung verstehe ich nichts davon.«
Greg verschränkte auf einstudierte Weise die Hände auf dem Rücken und starrte in den Himmel. Marjorie bemerkte eine plötzliche Veränderung an ihm; sein Gesichtsausdruck war entrückt, so als betrachte er ein ewiges inneres Rätsel. Er blickte nach oben, als bemerkte er die peinliche Stille zwischen ihnen gar nicht. Am Himmel sah sie ein Flugzeug kreisen. Das grüne Hecklicht blinkte, und sie hatte ein merkwürdig unruhiges Gefühl. Der Kondensstreifen legte einen Silberfächer auf den schiefergrauen Himmel.
»Ich glaube, am schwersten zu erkennen ist«, sagte Greg, als formulierte er in Gedanken einen Aufsatz, »wieso Teilchen, die sich schneller als das Licht bewegen, etwas mit der Zeit zu tun haben.«
»Ja, genau so ist es. John überspringt das immer und redet eine Menge über Empfänger und Bündelung und solche Sachen.«
»Die Kurzsichtigkeit eines Mannes, der das Ganze zum Funktionieren bringen muss. Verständlich. Sie wissen doch, was Einstein vor einem Jahrhundert bewiesen hat – dass das Licht eine Art Grenzgeschwindigkeit darstellt?«
»Ja.«
»Nun, die hirnlose, populäre Beschreibung der Relativitätstheorie lautet …« Er hob die Augenbrauen, als wollte er den nächsten Satz in sichtbare, verächtliche Anführungszeichen kleiden. »… dass ›alles relativ ist‹. Natürlich eine völlig belanglose Feststellung. Eine bessere Kurzbeschreibung lautet, dass es im Universum keine privilegierten Beobachter gibt.«
»Nicht einmal die Physiker sind privilegiert?«
Der plötzliche Themenwechsel ließ Greg lächeln. » Besonders die Physiker nicht, da wir wissen, was vorgeht. Einstein hat bewiesen, dass zwei Menschen, die sich in Bezug aufeinander bewegen, keine Einigkeit darüber erzielen können, ob zwei Ereignisse zur gleichen Zeit stattfinden. Das liegt daran, dass das Licht eine begrenzte Zeit braucht, um von den Ereignissen zu den beiden Menschen zu gelangen, und diese Zeit ist für jeden von ihnen anders. Ich kann das mit ein paar einfachen mathematischen Formeln belegen …«
»O nein, bitte!« Sie lachte.
»Einverstanden.
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