Zeitschaft: Meisterwerke der SF (German Edition)
wird bald stimmen.« Lakin nahm hinter seinem Schreibtisch Platz, legte die Hände gegeneinander und lehnte sich vor. »Und ich sage Ihnen ganz offen, dass der Zuschuss ohne etwas Interessantes, etwas Neues in Gefahr ist.«
Gordon blickte ihn starr an. Lakin stand auf und begann wieder mit seiner Wanderung durchs Zimmer. »Nein, natürlich nicht. Es war nur so ein Gedanke. Wir schreiben ›Eingereicht‹, und damit hat es sich.« Nachdenklich umkreiste er das Büro mit gemessenen Schritten. Vor der Tafel mit den flüchtig skizzierten Daten blieb er stehen. »Ein sehr merkwürdiger Effekt, und er wird nach seinem Entdecker benannt werden – nach Ihnen.«
»Isaac«, sagte Gordon gedehnt, »ich habe nicht vor, das hier unter den Tisch zu kehren.«
»Gut, gut«, sagte Lakin, während er Gordons Arm ergriff. »Stürzen Sie sich hinein! Ich bin sicher, die Sache mit Cooper wird sich mit der Zeit von selbst auflösen. Sie sollten ein Datum für sein Rigorosum festsetzen.«
Gordon nickte abwesend. Um ein vollständiges Forschungsprogramm für die Promotion zu präsentieren, musste der Student sich einem zweistündigen Prüfungsgespräch stellen. Cooper würde noch einige Anleitungen brauchen; er erstarrte, wenn zwei Fakultätsmitglieder sich in Hörweite befanden, ein unter den Studenten bemerkenswert verbreiteter Effekt.
»Ich bin froh, dass wir das geklärt haben«, murmelte Lakin. »Montag zeige ich Ihnen einen Entwurf für den PRL-Aufsatz. Bis dahin …« Er blickte auf seine Armbanduhr. »Das Kolloquium fängt an.«
Gordon versuchte sich auf den Stoff des Kolloquiums zu konzentrieren, aber irgendwie ging die Diskussion an ihm vorbei. Nur ein paar Reihen entfernt erklärte Murray Gell-Mann das Achtfacher-Pfad-Schema zum Verständnis der grundlegenden Teilchen jedweder Materie. Gordon wusste, er sollte die Diskussion intensiv verfolgen, denn hier ging es um eine fundamentale Frage. Die Teilchentheoretiker sagten bereits, Gell-Mann müsste für seine Arbeit den Nobelpreis bekommen. Mit finsterem Gesicht rutschte er auf seinem Stuhl vor und musterte die Gleichungen Gell-Manns. Jemand im Hörsaal stellte eine skeptische Frage, und Gell-Mann, stets geschmeidig und gelassen, drehte sich zu dem Frager um. Interessiert verfolgten die Zuhörer den Disput. Gordon erinnerte sich an seine letzten Studentenjahre in Columbia, als er begonnen hatte, die Kolloquien der Physikabteilung zu besuchen. Die wöchentlichen Treffen, so hatte er bemerkt, verliefen nach einem eindeutigen Schema, über das allerdings nie gesprochen wurde. Jeder konnte eine Frage stellen, und während er sie stellte, galt ihm die Aufmerksamkeit aller. Gab es einen längeren Wortwechsel zwischen Fragesteller und dem Vortragenden – umso besser. Und ein Fragesteller, der den Redner bei einem Irrtum ertappte, wurde durch beifälliges Kopfnicken und Lächeln der Umsitzenden belohnt. All das war klar, und doppelt klar war, dass sich keiner der Zuhörer für das Kolloquium vorbereitete.
Das Thema wurde eine Woche im Voraus angekündigt. Gordon begann, einiges über das Thema zu lesen und sich Notizen zu machen. Er überflog die Aufsätze des Redners und widmete vor allem den Schlussfolgerungen besonderes Augenmerk; denn hier spekulierten die Autoren ein wenig, äußerten Ideen »ins Blaue hinein« und versetzten ihren wissenschaftlichen Konkurrenten gelegentlich Seitenhiebe. In diesem Fall las Gordon auch die Aufsätze des Konkurrenten. Dadurch ergaben sich immer einige gute Fragen. Manchmal konnte eine solche Frage, in aller Unschuld gestellt, die Theorien eines Sprechers wie ein Stilett durchlöchern. Die Folge war interessiertes Murmeln unter den Zuhörern und forschende Blicke in Gordons Richtung. Selbst eine ganz gewöhnliche Frage erzeugte den Eindruck tiefen Verständnisses, wenn sie nur gut genug vorgetragen wurde. Die ersten Fragen stellte Gordon von ganz hinten. Nach einigen Wochen rückte er weiter vor. Die führenden Professoren der Abteilung besetzten stets die erste Reihe, nach einiger Zeit saß er nur zwei Reihen hinter ihnen. Sie begannen, sich in ihren Sitzen umzudrehen, wenn er eine Frage stellte. Wenige Wochen später saß er in der zweiten Reihe. Gestandene Professoren begannen ihm zuzunicken, wenn sie vor Beginn des Kolloquiums ihren Platz einnahmen. Weihnachten war Gordon den meisten Mitgliedern der Abteilung bekannt. Er hatte sich seitdem immer ein wenig schuldbewusst gefühlt, aber schließlich hatte er nichts anderes getan, als ein
Weitere Kostenlose Bücher