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Zeitschaft

Zeitschaft

Titel: Zeitschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory Benford
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knapp aus Warschau entkommen war, als die Nazis dort einrückten, aber er erinnerte sich daran, wie gereizt sie auf unpünktliche Studenten reagierte.
    Als er am South Field vorbeieilte, drängelten sich zu seiner Linken die Studenten auf den Stufen vor der Bibliothek. Gordon ging auf das Physikgebäude zu. Das Gewicht seines großen braunen Koffers brachte ihn ins Schwitzen. In einem Schwarm von Studenten glaubte er, ein bekanntes Gesicht zu sehen.
    »David! He, David!« rief er. Aber der Mann wandte sich ab und ging schnell in die entgegengesetzte Richtung. Gordon zuckte die Achseln. Vielleicht wollte Selig nicht mit einem alten Kommilitonen zusammentreffen, er war schon immer ein seltsamer Vogel gewesen.
    Überhaupt schien hier jetzt alles ein wenig seltsam zu sein, wie das Foto eines Freundes mit einigen Retuschen. Im gelben Sommerlicht wirkten die Gebäude ein wenig armseliger, die Menschen müde und bleich, die Rinnsteine verdreckt. Einen Block weiter lungerte ein Betrunkener in einem Gebäudeeingang, die Flasche in einer braunen Papiertüte verborgen. Gordon beschleunigte seine Schritte und eilte hinein. Vielleicht war er zu lange in Kalifornien gewesen. Alles, was nicht frisch und neu war, kam ihm abgenutzt vor.
    Claudias Zimmer war unverändert. Hinter ihren warmen Augen lauerte eine funkelnde Intelligenz, distanziert und amüsiert. Gordon blieb den ganzen Nachmittag bei ihr, beschrieb seine Experimente, verglich seine Laborausstattung mit der ihren. Sie wußte von der spontanen Resonanz, von Saul Schriffer und dem Rest. Sie fand es »interessant«, sagte sie, das Standardwort, mit dem man nichts preisgab. Als Gordon sie bat, Coopers Experiment parallel durchzuführen, lehnte sie den Vorschlag anfangs brüsk ab. Sie hatte zu tun, zu viele Studenten, die Zeit am großen Nuklearresonanzmagneten war völlig ausgebucht, es war kein Geld da. Gordon wies darauf hin, wie eine ihrer momentanen Experimentalordnungen der seinen ähnelte; ganz einfache Modifikationen würden sie identisch machen. Sie argumentierte, sie hätte keine Indium-Antimonid-Probe, die gut genug sei. Er holte fünf Proben heraus, fünf kleine graue Scheiben; hier, machen Sie damit, was Sie wollen. Sie zog eine Augenbraue hoch. Er merkte, wie er in eine Rolle schlüpfte, die er vergessen hatte – ein frecher yid Schuljunge, der seinen Lehrer wegen einer besseren Note bedrängt. Claudia Zinnes kannte solche Rituale so gut wie jeder andere, aber allmählich weckte seine Beharrlichkeit ihr Interesse. Vielleicht war an dem Effekt der spontanen Resonanz doch etwas dran. Jetzt, da das gesamte Umfeld getrübt war, konnte man das nicht mehr so genau sagen. Sie blickte ihn mit ihren warmen braunen Augen an und sagte: »Aber nicht, weil Sie wollen, daß ich es überprüfe. Nicht um diesen Wirrwarr aufzuklären.« Und er nickte, ja, er hoffte, sie würde etwas anderes finden. Aber – ein warnend erhobener Finger – lassen Sie die Kurven für sich selbst sprechen! Er lächelte, scherzte; es war fast ein gespenstisches Gefühl, wieder in seiner Studentenrolle zu stecken, aber irgendwie griff eins ins andere, und es funktionierte. Claudia Zinnes kam vom »vielleicht« zum »falls« und dann zum »wenn«. Und dann, scheinbar ohne die Wandlung zu bemerken, plante sie Zeit an der NMR-Ausrüstung für September und Oktober ein. Sie fragte ihn nach einigen Kommilitonen, wo sie wären, welche Jobs sie hätten. Plötzlich erkannte er, daß sie aufrichtige Zuneigung für die jungen Leute hegte, die durch ihre Hände und dann in die Welt hinaus gingen. Als sie ging, tätschelte sie seinen Arm und wischte eine Faser von seiner klammen Sommerjacke.
    Auf dem Rückweg erinnerte er sich an die Ehrfurcht des jungen Studenten, die ihn während der ersten vier langen, harten Jahre erfaßt hatte. Columbia war eindrucksvoll. Die Fakultät war weltberühmt, die Gebäude und Laboratorien waren imposant. Nie hatte er den Verdacht gehegt, daß dieser Ort eine Fabrik sein könnte, die intelligente Trolle ausstieß, die bereit und in der Lage waren, Schaltkreise zusammenzustellen, Diagramme zu zeichnen und die surrenden Räder der Industrie in Gang zu halten. Nie hatte er gedacht, daß Institutionen mit den Launen einiger weniger Individuen, einiger weniger Vorteile stehen oder fallen könnten. Nie. Religionen lehren keine Zweifel.
     
    Er nahm ein Taxi durch die Stadt. Der Wagen krachte in die Schlaglöcher einer der Seitenstraßen, ein nervenaufreibender Kontrast zu den glatten

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