Zeitschaft
seinen Chevy geparkt hatte, als eine schmale Gestalt die Hand grüßend hob. Gordon ging auf sie zu und erkannte Maria Goeppert Mayer, die einzige Frau in der Abteilung. Sie hatte vor einiger Zeit einen Schlaganfall gehabt und kam nur noch selten und bewegte sich geisterhaft durch die Flure; eine Körperhälfte war teilweise gelähmt, das Sprechen bereitete ihr Mühe. Ihr Gesicht war verzerrt, sie schien erschöpft, aber in ihren Augen sah Gordon eine wache Intelligenz, der nichts entging.
»Glauben Sie an Ihre… Er… Ergebnisse?« fragte sie.
Gordon zögerte. Unter ihrem durchdringenden Blick fühlte er sich wie unter dem Mikroskop der Geschichte; diese Frau war aus Polen gekommen, hatte die Kriegsjahre überstanden, arbeitete für das Manhattan-Projekt in Columbia an der Abspaltung von Uran-Isotopen und hatte zusammen mit Fermi geforscht, bevor dieser an Krebs erkrankte. Das alles und noch mehr hatte sie hinter sich: Ihr Mann, Joe, war ein brillanter Chemiker und hatte seinen Lehrstuhl in Chicago, während ihr die Aufnahme in die Fakultät versagt wurde; sie mußte sich mit einer Position als Forschungsassistentin zufriedengeben. Plötzlich fragte er sich, ob sie darüber wütend gewesen war, während sie am Schalenmodell des Atomkerns arbeitete, wodurch sie berühmt geworden war. Verglichen mit ihr, waren seine Probleme verschwindend klein. Er biß sich auf die Lippe.
»Ja, ja, ich glaube schon. Etwas… etwas versucht, uns zu erreichen. Ich weiß nicht, was es ist.«
Sie nickte. Trotz ihrer erstarrten Gesichtszüge lag in dieser Bewegung ein gelassenes Vertrauen, das in Gordon eine Glocke anschlagen ließ. Er blinzelte in die Strahlen der untergehenden Sonne, ihr Glanz wurde zu warmer Feuchtigkeit in seinen Augen. »Gut. Gut«, murmelte sie und ging, immer noch lächelnd, davon.
Kurz nach Penny kam er nach Hause. Sie wechselte gerade die Garderobe. Er warf die Aktenmappe mit den Sorgen des Tages darin in eine Ecke und fragte: »Wohin?«
»Die Brandung kommt.«
»Aber es wird doch dunkel.«
»Die Wellen wissen das nicht.«
Er lehnte sich gegen die Wand, ihre Energie machte ihn taumeln. Diesen Aspekt Kaliforniens hatte er am wenigsten verdaut: die pure Körperlichkeit des Landes, seine Tatkraft.
»Komm mit«, sagte sie, während sie eine Bikinihose und ein T-Shirt überstreifte. »Ich zeig’s dir. Du kannst dich ohne Brett von den Wellen an Land tragen lassen.«
»Hm«, entgegnete er. Er wollte nicht zugeben, daß er sich auf ein Glas Weißwein und die Abendnachrichten gefreut hatte. Immerhin, dachte er – und mochte den Gedanken plötzlich gar nicht mehr –, könnte es eine Fortsetzung des Schriffer-Berichts geben.
»Komm schon!«
Am Wind’n Sea-Strand sah er ihr zu, wie sie durch eine abfallende Welle schnitt. Sie erstaunte ihn: ein zerbrechliches Mädchen, das ein klobiges Brett beherrschte und sich die Energie des Ozeans zunutze machte, schwebte in der Luft wie durch ein Wunder newtonscher Dynamik. Es schien ein fließendes Rätsel, und doch hatte er das Gefühl, es dürfte ihn nicht überraschen; schließlich handelte es sich um klassische Dynamik. Die Rotte von der Pumpenstation war draußen. In Erwartung der stürzenden Tonnen Wasser ritten sie auf ihren weißen Brettern. Schwitzend absolvierte er die harten Gymnastikübungen der Royal Canadian Air Force und versicherte sich, daß sie ebenso gut waren wie die sichtbare Freude der Surfer, wenn sie die Wellen teilten. Nach den vorgeschriebenen Drück- und Stoßübungen rannte er keuchend durch den Sand und versuchte, die Ereignisse des Tages zu entwirren. Sie widersetzten sich ihm: Der Tag ließ sich nicht in einfache Strukturen zerlegen. Schnaufend blieb er stehen, die Stirn von Schweißperlen bedeckt. Penny tat einen Schritt auf ihrem Brett und winkte ihm zu. Hinter ihr stülpte der Ozean sich hoch, packte ihr Brett mit sanftem Griff und ließ es nach vorn kippen. Sie schaukelte, schwankte, Arme schlugen wie Flügel durch die Luft; sie fiel, wurde von dem seifigen Gischt verschlungen. Das glatte weiße Brett überschlug sich auf dem Wasser. Pennys Kopf tauchte auf, das Haar klebte wie eine Kappe an ihrem Gesicht, ihre Zähne strahlten weiß. Sie lachte.
Während sie sich anzogen, fragte er: »Was gibt’s zum Abendessen?«
»Was du willst.«
»Artischockensalat, dann Fasan und zum Schluß Brandygebäck.«
»Ich hoffe, du kannst das alles zubereiten.«
»Okay, was willst du?«
»Ich gehe aus. Ich habe keinen
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