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Zeitschiffe

Zeitschiffe

Titel: Zeitschiffe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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die Gasmaske an der Hüfte befestigt. »Ich bin fertig«, japste er. Nebogipfel und ich reagierten nicht sofort, und Moses schaute uns der Reihe nach an. »Was ist denn? Worauf wartet ihr noch?«
    Ich streckte die Hand aus und drückte Filbys Schulter. Immerhin sträubte er sich nicht, und ich interpretierte das als letzten Rest freundschaftlicher Verbundenheit zwischen uns.
    Ich habe ihn nie wieder gesehen.
    Wir schauten auf die Straße hinaus. Ich erinnnerte mich, daß dies einmal ein vergleichsweise ruhiges Viertel von London gewesen war; aber jetzt strömten die Menschen durch Queen's Garden Terrace, rannten, stolperten und rempelten sich gegenseitig an. Männer und Frauen hatten ihre Wohnungen und Arbeitsplätze einfach verlassen. Die Köpfe der meisten waren unter Gasmasken verborgen, aber wo ich die Gesichter sehen konnte, las ich nur Schmerz, Elend und Furcht.
    Überall schienen Kinder zu sein, überwiegend in dunklen Schuluniformen und
    mit ihren kleinen Gasmasken; die Schulen schienen offensichtlich geschlossen zu sein. Die Kinder streiften auf der Straße umher und riefen nach ihren Eltern; ich stellte mir die Qualen einer Mutter vor, die in dem riesigen, wimmelnden Amei-senhaufen, zu dem London geworden war, nach ihrem Kind suchte, und ich brach diese Überlegungen ab.
    Manche Leute hatten ihre Werktagsutensilien bei sich – Aktentaschen und
    Handtaschen, vertraut und nutzlos – und andere hatten bereits ihren Hausrat zu-sammengepackt und in ausgebeulten Koffern verstaut oder in Vorhänge und Bett-laken eingewickelt. Wir sahen einen dünnen, verbissen wirkenden Mann, der stolpernd eine große Kiste auf einem Fahrrad balancierte, die ohne Zweifel mit Wert-gegenständen angefüllt war. Die Last kippte ihm ständig gegen seine magere Hüf-te, und er mühte sich, das Gleichgewicht zu halten.
    »Vorwärts! Vorwärts!« schrie er die Leute vor sich an. »Macht Platz! Macht
    Platz!«
    Die Staatsgewalt schien verschwunden zu sein. Wenn irgendwo Polizisten oder
    Soldaten gewesen waren, mußten sie überwältigt worden sein – oder hatten sich ihrer Uniformen entledigt und sich der Menge angeschlossen. Ich sah einen Mann in der Uniform der Heilsarmee; er stand auf einer Stufe und schaute sich mit leuchtenden Augen um – ich vermutete, daß er blind war – und brüllte: »Ewigkeit!
    Ewigkeit!«
    Moses zeigte mit dem Finger. »Sieh – die Kuppel ist im Osten geborsten – über Stepney. Soviel zur Unverwundbarkeit dieser wunderbaren Kuppel!«
    Ich sah, daß er recht hatte. Es schien, als ob eine große Bombe dicht am östlichen Horizont ein riesiges Loch in die Betonschale gebrochen hätte. Oberhalb dieser klaffenden Wunde war die Kuppel wie eine Eierschale gesprungen, und ein breites gezacktes Band blauen Himmels war sichtbar, das fast bis zum Scheitelpunkt der Kuppel über mir verlief. Ich sah, daß der Schaden noch nicht ausgestanden war, denn Betonbrocken – einige so groß wie ein Haus – regneten vom Himmel auf
    diesen Stadtteil herab, und ich wußte, daß die Schäden und die Verluste an Menschenleben gigantisch sein mußten.
    In der Ferne – ich glaube, im Norden – hörte ich mehrfach ein dumpfes Knallen, wie die Schritte eines Giganten. Die Luft war vom Wimmern der Sirenen durchdrungen – ›ulla, ulla, ulla‹ – und vom lauten Knacken der angeschlagenen Kuppel über uns.
    Ich stellte mir vor, oben von der Kuppel auf ein London hinabzuschauen, das in wenigen Augenblicken von einer verängstigten, aber funktionierenden Stadt in eine Schüssel aus Chaos und Schrecken verwandelt worden war. Jede Straße, die vom Riß in der Kuppel weg nach Westen, Süden oder Norden führte, hatte sich in einen Strom aus schwarzen Punkten verwandelt, wobei jeder dieser Punkte ein fliehendes menschliches Wesen darstellte, einen Fleck des körperlichen Leidens und Elends: jeder einzelne ein verlorenes Kind, ein getrennter Ehepartner oder Elternteil.
    Moses mußte schreien, um sich über dem Lärm auf der Straße verständlich zu
    machen. »Diese verdammte Kuppel wird in einer Minute auf uns alle runterkom—
    men!«
    »Ich weiß. Wir müssen zum Imperial. Kommt – setzt eure Schultern ein! Nebogipfel, hilf uns, wenn's geht.«
    Wir traten in die Mitte der überfüllten Straße. Wir mußten uns in östlicher Richtung halten, gegen den Strom der Menge, die nach Westen floh. Der offensichtlich vom Tageslicht geblendete Nebogipfel wurde fast von einem mondgesichtigen
    Mann im Business-Anzug und Epauletten umgerannt, der

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