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Zeitschiffe

Zeitschiffe

Titel: Zeitschiffe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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seine Körper-sprache wirkte intensiv; aber mir wurde bald bewußt, wie sehr man sich in der Alltagskommunikation von der Interpretation der Bewegungen seiner Mitmenschen leiten läßt. Was den Morlock betraf, war ich in dieser Hinsicht Analphabet.
    Es war unmöglich zu sagen, was er dachte oder fühlte – hatte er vielleicht Angst vor mir? War er etwa gelangweilt? – und infolgedessen fühlte ich mich in einer benachteiligten Position. Am Ende unserer zweiten Lehrstunde zog sich der Morlock von mir zurück.
    »Das sollte genügen«, meinte er. »Verstehst du mich?«
    Ich starrte ihn an, überwältigt von seiner plötzlichen fremdsprachlichen Kompetenz. Seine Aussprache war undeutlich – diese flüssige Sprache der Morlocks war anscheinend nicht für die härteren Konsonanten und Satzabbrüche des Englischen ausgelegt –, aber die Worte waren gut verständlich.
    »Verstehst du mich?« wiederholte er, als ich nicht antwortete.
    »Ich – ja. Ich meine: Ja, ich verstehe dich! Aber wie hast du das gemacht – wie konntest du meine Sprache lernen – mit so wenigen Wörtern?« Meiner Einschätzung nach hatten wir nämlich höchstens fünfhundert Wörter erarbeitet, überwiegend diese Substantive und einfache Verben.
    »Ich habe Zugriff auf die Archive aller alten Sprachen der Menschheit, soweit sie rekonstruiert werden konnten – von Nostratisch bis zur Indo-Europäischen Gruppe mit ihren Vorläufern. Eine kleine Anzahl von Schlüsselwörtern genügt, um die entsprechende Variante aufzurufen. Du mußt mich darauf hinweisen, wenn ich
    etwas sage, das keinen Sinn ergibt.«
    Ich machte einen vorsichtigen Schritt vorwärts. »Alt? Und woher willst du wissen, daß ich alt bin?«
    Große Lider senkten sich wie raschelnde Papierblätter über seine Augen. »Deine körperliche Erscheinungsform ist archaisch. Und bei der Analyse deines Magenin-haltes...« Tatsächlich schauderte ihn, offenbar beim Gedanken an die Überreste von Mrs. Watchets' Frühstück. Ich war erstaunt: Ich hatte es mit einem empfind-samen Morlock zu tun! »Du bist nicht aus dieser Zeit«, erkannte er. »Wir wissen noch nicht, wie du auf die Erde gekommen bist. Aber wir werden sicher noch da-hinterkommen.«
    »Und in der Zwischenzeit«, sagte ich halbwegs energisch, »wollt ihr mich hier festhalten – in diesem Lichtkäfig. Als ob ich ein wildes Tier wäre und kein Mensch! Ihr laßt mich auf dem Boden schlafen und gebt mir einen Toilettenei-mer...«
    Der Morlock sagte nichts, sondern beobachtete mich nur teilnahmslos.
    Die Gefühle der Frustration und des Zorns, die mich seit der Ankunft an diesem Ort befallen hatten, kamen wieder an die Oberfläche, jetzt, wo ich in der Lage war, sie zu artikulieren, und ich war der Ansicht, daß der Höflichkeiten genug gewechselt worden waren. »Wo wir jetzt miteinander sprechen können«, sagte ich, »wirst du mir sagen, wo auf der Erde ich mich befinde. Und wo ihr meine Maschine versteckt habt. Verstehst du das, Bursche, oder soll ich es dir vielleicht übersetzen?«
    Und ich streckte eine Hand nach ihm aus, um ihn an seinem Brusthaar zu packen.
    Als ich mich ihm bis auf zwei Schritte genähert hatte, hob er die Hand. Das war alles. Ich kann mich nur noch an einen merkwürdigen grünen Blitz erinnern – die ganze Zeit, in der er in meiner Nähe war, hatte ich das Gerät, das er gehalten haben mußte, nicht gesehen – und dann verlor ich das Bewußtsein und stürzte zu Boden.
    Offenbarungen und Einsprüche
    Als ich wieder zu Bewußtsein kam, lag ich erneut breitbeinig auf dem Boden und starrte nach oben in dieses verdammte Licht.
    Ich stützte mich auf die Ellbogen auf und rieb mir die geblendeten Augen. Mein Morlock-Freund war noch immer da und stand direkt an der Grenze des Lichtkreises. Zerknirscht stand ich auf. Ich erkannte, daß ich mit diesen neuen Morlocks meine liebe Mühe haben würde.
    Der Morlock trat ins Licht, wobei seine blaue Brille glitzerte. Als ob unser Dialog überhaupt nicht unterbrochen worden wäre, sagte er: »Mein Name ist...« – seine Aussprache reduzierte sich wieder auf das übliche konturenlose Morlock—
    Muster – »Nebogipfel.«
    »Nebogipfel.« Ich mußte das mehrmals aufsagen, bis ich den Dreh heraus hatte.
    »Sehr schön.« Im Gegenzug nannte ich ihm meinen Namen; nach ein paar Minuten konnte er ihn klar und präzise wiederholen.
    Das, so realisierte ich, war der erste Morlock, dessen Namen ich kannte – der erste, der aus der Masse herausragte, der ich bisher begegnet war,

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