Zeitsplitter - Die Jägerin: Roman (German Edition)
ist.
Aber verdammt noch mal, ich kann James ein sauberes Hemd besorgen.
»Ich besorge dir etwas Frisches zum Anziehen, okay?«, sage ich mit zittriger Stimme.
James sieht auf seine Brust herab und runzelt die Stirn, als würde er das Blut auf seinem Hemd erst jetzt bemerken. Er berührt den Fleck sanft, fast ehrfürchtig.
»Da war so viel Blut«, flüstert er.
Ich schlucke. »Ich weiß. Wir machen es weg.«
»Ja.« Finn springt auf. »Komm, Jimbo. Gehen wir in den Waschraum.«
James protestiert nicht. Er scheint kaum wahrzunehmen, dass Finn ihn hochzieht und zur Männertoilette am Ende des Gangs dirigiert. Ich gehe Richtung Stationszimmer.
»Ich brauche einen Kittel«, sage ich, »oder etwas anderes, das mein Freund anziehen kann.«
Die beiden Pflegekräfte wirken konsterniert. Bravo, Marina.
»Tut mir leid«, sage ich. »Aber haben Sie irgendetwas, das er tragen kann? Seine Kleidung ist …«
Ich kann den Satz nicht vollenden.
»Ich habe einen Kittel zum Wechseln in meinem Spind«, sagt der Pfleger. »Ich hole ihn für Sie.«
Er kehrt mit einer ordentlich zusammengelegten blauen Montur aus Kittel und Hose zurück. Als ich sie entgegennehme, fühle ich mich eine geschlagene halbe Sekunde lang nicht vollkommen nutzlos.
Ich habe James saubere Klamotten besorgt. Was für eine Leistung.
Ich klopfe an die Tür des Waschraums. »Jungs? Ich habe etwas Frisches zum Anziehen.«
»Komm rein!«, ruft Finn.
Ich war noch nie in einer Herrentoilette, und bei allem, was gerade passiert, sollte es sich nicht so komisch anfühlen, wie es das tut. Ich drücke die Tür nur langsam auf, als hätte ich Angst, erwischt zu werden. Drinnen lehnt James an einem Waschbecken, und Finn wischt ihm mit einem feuchten Papierhandtuch winzige Blutspritzer vom Hals. James’ blutgetränktes Hemd und das Sakko hängen über der Tür einer Toilettenkabine, sein Bauch und seine Brust sind noch nass vom Waschen. Ich versuche, James’ nackten Oberkörper nicht direkt anzusehen. Ich nehme helle Haut, blass von den langen Wintermonaten, und einen vom stundenlangen Schwimmen im Pool gestrafften Bauch wahr. Dann schließe ich die Augen. Ich traue mir selbst nicht, keine schlimmen Dinge zu denken.
»Marina?«, sagt Finn. »Gibst du mir die?«
Ich öffne die Augen wieder und sehe, dass Finn mich gereizt anschaut. Seine Hand mit dem Papierhandtuch ruht auf James’ Hals, die andere hat er in meine Richtung ausgestreckt.
»Sorry«, murmle ich und mache einen Schritt vorwärts, um ihm die Pflegermontur auszuhändigen. James blickt mich benommen an, und halb nackt, wie er ist, wirkt er auf einmal unglaublich verletzlich. Als könnte ich ihn mit einer Hand in der Mitte entzweibrechen.
»Arme hoch«, sagt Finn. Er nimmt das saubere Oberteil, und als James die Arme hebt, streift Finn es ihm so geübt über den Kopf wie ein Vater, der seinen kleinen Sohn anzieht. Es ist ein seltsamer Anblick. James taucht aus dem Oberteil mit zerzaustem Haar wieder auf, was ihn so jung aussehen lässt, wie Finn ihn behandelt.
»Hose«, sagt Finn in geschäftlichem Ton, und James’ Hand bewegt sich gehorsam in Richtung Hosenstall.
»Oh. Himmel!« Ich wende mich ab. »Ich gehe dann mal.«
»Was hab ich dir gesagt, Mann«, höre ich Finn in meinem Rücken. »Die Hose auszuziehen ist keine gute Idee, wenn man ein Mädchen rumkriegen will. Es macht ihnen nur Angst.«
Bevor ich die Tür des Waschraums hinter mir schließe, höre ich James tatsächlich lachen.
Ein paar Minuten später folgt ein gesäuberter und umgezogener James Finn zurück in den Warteraum. Er setzt sich für ungefähr zehn Sekunden, bevor er wieder aufsteht und vor sich hin flüsternd in dem kleinen Raum auf und ab geht.
»Wie haben sie das angestellt?«, sagt er leise. »Wie sind sie reingekommen?«
Bürgermeister McCreedy glaubt, dass James mit ihm spricht, und erwidert: »Jemand wird kommen, um uns mitzuteilen …«
»Es ist wie bei Bobby Kennedy, oder?«, fährt James fort, als hätte der Bürgermeister keinen Ton gesagt. »Es ist genau wie bei ihm, nur …«
Bürgermeister McCreedy, Senator Gaines und die anderen Leute von der Benefizveranstaltung versuchen, ihre Verwirrung zu verbergen. Den meisten misslingt es, aber James bemerkt es nicht. Er bemerkt gar nichts, wenn er so ist. Manchmal, wenn James ein Problem hat – etwa, wenn er eine Gleichung für Dr. Feinberg lösen soll oder auch etwas so Banales wie die Frage, bei welchem Lieferservice er Essen bestellen soll –, dann zieht er
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