Zeitsplitter - Die Jägerin: Roman (German Edition)
meine geballte Faust.
Mein erster Reflex ist, sie zurückzuziehen, aber ich zwinge mich zum Stillhalten. Das Gefühl seiner Haut auf meiner ist noch immer neu und fremd, und seine Berührung erscheint mir seltsam heiß nach so vielen Monaten ohne jeden Kontakt. Er streicht mit den Fingern über meine, bis ich anfange, mich zu entspannen und die Faust zu öffnen.
»Wir können uns eine andere Lösung ausdenken«, sagt er. »Das hier ist einfach zu verkorkst.«
Ich schüttle den Kopf. »Es gibt keinen anderen Weg. Wir haben schon alles andere ausprobiert.«
»Es tut mir so leid, Em.«
»Das muss es nicht«, sage ich. »Ich hasse das, was er getan hat. Ich hasse ihn . Die Welt wird ein besserer Ort ohne ihn.«
Finn legt mir einen Arm um die Schulter. »Schon gut«, sagt er besänftigend. Er glaubt mir offenbar nicht. Denkt er, dass ich ihm etwas vorlüge? Oder mir selbst? Vielleicht ist mein Hass nicht einfach, vielleicht machen ihn viele Dinge kompliziert, aber er ist echt. Er brennt in mir wie eine heiße Flamme.
Ich kann das hier. Ich trample die Schwäche nieder, die ich in mir aufkommen spüre. Ich kann das hier.
Ich lehne mich an Finn und atme seinen Duft ein. Oder vielmehr den von Connor, schätze ich. Waschmittel mit kaltem Zigarettenrauch darunter. Wenn ich die Augen schließe, kann ich mich daran erinnern, wie Finn früher roch, nach Seife und diesem schrecklichen Parfum, von dem er zu besonderen Anlässen zu viel auflegte, und später nach dem Schmutz und Schweiß eines Lebens auf der Flucht. Ich rücke noch näher an ihn heran. Ich denke an die Narben, die sich unter seinem Hemd verbergen, an die Blutergüsse von der letzten Befragung, die wahrscheinlich immer noch zu sehen sind – an alles, was die Flamme meiner Wut nährt, bis sie alles andere wegbrennt.
Ich hasse ihn. Ich hasse ihn. Ich hasse ihn.
»Denk nicht an ihn«, sagt Finn, als könnte er meine Gedanken lesen. Er reibt mit der Hand über meinen Arm, um mich zu wärmen. »Denk an sie.«
Sie. Marina. Sie ist irgendwo in diesem Gebäude, leidend und verwirrt, und wahrscheinlich kaut sie sich gerade ihre Fingernägel bis zum Nagelbett ab. Finn hat Recht. Marina ist der Grund, warum ich das hier tue. Mehr als alles andere wünsche ich mir, dass sie glücklich wird und das Leben bekommt, das sie verdient. Meine Liebe zu ihr ist eine stärkere Motivation, als es mein Hass auf ihn je sein könnte.
Ich spüre Finns Lippen an meinen Haaren, und ich erschauere. Sie fahren hinunter zu meiner Schläfe und zu meiner Wange, hauchen flüchtige Küsse über meine Haut.
»Em«, murmelt er.
Ich neige das Gesicht, um ihn sehen zu können. Wir sind uns so nah, dass ich seinen Atem spüre. »Ja?«
»Ich weiß, dass du es schon weißt«, sagt er, »aber ich wollte dir immer ins Gesicht schauen, wenn ich es dir endlich sage. Ich weiß, dass mein Timing miserabel ist, aber …«
Oh Gott, Finn. Bitte nicht.
»Aber wir werden nicht mehr lange da sein, und das hier ist vermutlich meine letzte Chance.« Er lächelt mich scheu an. »Ich liebe dich.«
Er hat Recht, ich wusste es schon. Aber plötzlich kann ich seinen Blick nicht mehr ertragen. Es ist zu viel. Mein Gesicht ist heiß in der kalten Luft, und ich sehe weg. Ich wende mich automatisch der Tür des Gebäudes zu, das wir die ganze Zeit beobachten.
Sie öffnet sich, gleitet geräuschlos auf, und eine Gestalt tritt heraus.
»Das ist er«, flüstere ich.
Ich würde ihn überall erkennen, selbst im Dunkeln, selbst mit gebeugten Schultern und in einem geborgten OP -Kittel. Ich versuche, ihn nicht zu genau zu betrachten. Ich will sein Gesicht nicht sehen.
Ich gehe hinter dem Civic in die Hocke, Finn neben mir. Sein schneller Atem lässt kleine Wölkchen in der kalten Luft entstehen. Ausnahmsweise sagt er mal nichts, er berührt mich nur am Rücken, um mir zu zeigen, dass er bei mir ist.
Meine Finger zittern so heftig, dass ich die Waffe nicht entsichern kann. Ich schließe die Augen und suche nach einem winzigen Splitter von Stille in mir, auf den ich mich konzentrieren kann.
Marina.
Das Zittern hört auf, und ich entsichere. Ich werde nicht daran denken, wer er war. Diese Person ist tot und vergangen. Ich werde nur daran denken, wer er sein wird.
Ich werde nur an Marina denken.
Mit einem letzten tiefen Atemzug stehe ich auf, ziele auf James Shaws Kopf und drücke ab.
Die Waffe ruckt heftig in meiner Hand, und der Stoß wirft mich zurück.
Und zurück und zurück und zurück …
Eine Faust
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