Zeitsplitter - Die Jägerin: Roman (German Edition)
immer wieder das Kartenspiel. Das Geräusch klingt in meinen Ohren zornig, das ungeduldige flap flap flap scheint mich dafür zu verurteilen, dass ich nicht einmal in der Lage bin, James diesen winzigen Augenblick für sich selbst zuzugestehen.
Mein Blick kehrt sich nach innen, und ich sehe James wieder in der Tür stehen, wie er mich beinahe anschreit, damit ich ihn nicht begleite. Das dumme Hündchen, das ihm immer an den Fersen klebt.
So habe ich mir den Verlauf dieser Nacht nicht vorgestellt.
Luz drückt meine Hand, aber im Moment will ich nicht angefasst werden. Ich verschränke die Arme und kneife mich in die Innenseite meines Ellbogens, um nicht loszuheulen. Ich werde nicht noch einmal vor Finn Abbott weinen. Dort draußen steht James auf und beginnt die Arme zu schwenken, um warm zu bleiben.
Dann kracht es.
Es hört sich nicht wie im Ballsaal des Hotels an. Im zweiten Stock, abgeschwächt durch den Stadtlärm und die dicken Glasscheiben, klingt es eher wie ein Ploppen und nicht wie eine Explosion, aber dennoch schreie ich auf. Ich bin wieder zurück in diesem Ballsaal und sehe, wie sich das Blut auf Nates Brust ausbreitet, nur dass es diesmal James ist. Ich kann nicht atmen.
»Das war nur die Fehlzündung eines Autos«, sagt Finn.
»Nein, das war es nicht!« Ich presse das Gesicht an die Glasscheibe. James steht aufrecht da, unversehrt, aber es fühlt sich an, als wäre er hundert Kilometer weit weg. Ich lege meine Hand ans Fenster, als könnte ich ihn so irgendwie erreichen. Ich folge seinem Blick über den Parkplatz, und dann sehe ich sie. Ein Mädchen, ihr Gesicht liegt verborgen im Schatten. Sie hält eine Waffe in der Hand.
Die Luft weicht aus meiner Lunge, und die Welt bewegt sich nur noch in Zeitlupe weiter. Das Mädchen fällt hinter ein Auto, und ein Junge, den ich vorher nicht bemerkt habe, beugt sich über sie, um sie hochzuziehen. Sie beginnen zu laufen, aber das Mädchen bleibt unter einer Straßenlaterne stehen und dreht sich noch einmal zum Krankenhaus um. Ihr Gesicht und das des Jungen, der sie mit sich zu ziehen versucht, sind plötzlich beleuchtet, und ich kann deutlich ihre Züge erkennen.
Die Welt gerät ins Schwanken, und ich greife mir mit beiden Händen an den Kopf. Ich halluziniere.
Polizisten in schwarzen Uniformen laufen aus dem Krankenhaus, die Zeit vergeht wieder in normalem Tempo. Sie scharen sich um James und verfrachten ihn eilig nach drinnen, obwohl er sich gegen sie wehrt und auf den Parkplatz deutet.
Ich habe es mir nicht eingebildet.
Jemand hat gerade auf James geschossen.
Ich renne aus dem Raum.
Ich lasse den Aufzug links liegen und nehme die Treppe ins Erdgeschoss, immer zwei Stufen gleichzeitig. Irgendwo hinter mir höre ich Finn meinen Namen rufen. Ich gehe noch einmal durch, was ich gesehen habe: ein Mädchen mit einer Waffe, einen Jungen, der ihr aufgeholfen hat, und beide blieben unter einer Straßenlaterne stehen, um zum Krankenhaus zurückzuschauen …
Hier hält mein Verstand inne. Denn die Gesichter, die ich gesehen habe, waren trotz der Entfernung und der Dunkelheit so vertraut, so ähnlich. Sie sahen aus wie …
Ich erreiche das Erdgeschoss und renne in die Notaufnahme. James sitzt im Warteraum, umgeben von einer Wolke aus schwarzen Anzügen und Uniformen. Die Notaufnahme wirkt wie ein aufgeschreckter Bienenschwarm. Der diensthabende Agent bellt einer Krankenschwester, die alles über Lautsprecher weitergibt, Anweisungen zu. Sie sperren das ganze Gebäude ab, niemand darf hinaus oder hinein, und ich muss gegen einen Strom panischer Menschen anschwimmen, um zu James zu gelangen.
»James!«, rufe ich. »James!«
»Marina!« Er entdeckt mich in der Menge und winkt mich zu sich. Die Polizisten, die um ihn herumstehen, treten zur Seite und lassen mich durch.
»Alles in Ordnung mit dir?«, frage ich. »Was ist passiert?«
Er sieht ein wenig benommen aus, ist aber unverletzt. »Jemand hat auf das Krankenhaus geschossen.«
Finn hat mich eingeholt und hört, was James sagt. »Oh mein Gott!«
Ich schubse ihn zurück. »Siehst du! Ich hab’s dir doch gesagt. Ich habe gesehen , wie sie auf ihn geschossen haben.«
Ein Polizist, der neben James in sein Funkgerät spricht, unterbricht sich abrupt. »Entschuldigung, Miss, Sie sagen, Sie haben den Schützen gesehen?«
»Ja, ich habe aus dem Fenster geschaut.« Ich drehe mich wieder zu James. »Geht’s dir gut? Du bist nicht verletzt?«
»Ich bin okay«, sagt er. »Aber du bist leichenblass. Geht’s
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