Zeitsplitter - Die Jägerin: Roman (German Edition)
hin, aber ich schüttle den Kopf und greife stattdessen nach den Kleidern, die Luz mitgebracht hat. Ich entschuldige mich Richtung Waschraum, um mich umzuziehen. Ich kann kaum noch verstehen, warum ich mal so verliebt in dieses Kleid war. Wenn ich nach Hause komme, werde ich es verbrennen.
Als ich in Jeans und einem Pulli aus der Kabine komme, sehe ich Luz mit verschränkten Armen am Waschbecken lehnen.
» Mija, geht’s dir gut?«
Ich breche in Tränen aus.
Luz schließt mich in ihre Arme und streichelt mir mit der flachen Hand kreisförmig über den Rücken, wie sie es schon getan hat, als ich noch klein war. Ich gebe unglaublich peinliche, abgehackte Laute von mir und bin ziemlich sicher, dass es aus meiner Nase auf Luz’ Pulli tropft. Aber als ich Anstalten mache zurückzuweichen, lässt sie mich nicht los, und darüber bin ich froh.
»Was ich gestern Abend gesagt habe, tut mir leid«, schluchze ich. »Ich weiß, dass ich manchmal richtig gemein zu dir bin.«
»Schsch.« Sie streicht mir das Haar aus dem Gesicht und wischt mit dem Saum ihres Ärmels meine Wangen trocken. »Hast du deine mamá angerufen?«
Ich schüttle den Kopf. Irgendwie ist es leichter, so zu tun, als hätte ich es gar nicht versucht. Luz zieht mich so fest an sich, dass meine Rippen wehtun. Ich weiß nicht, was ich mir dabei gedacht habe, so lange zu warten, sie anzurufen.
Wir kehren schließlich in den Warteraum zurück, wo Finn ein Kartenspiel mischt, das er gefunden hat, Vivianne auf ihr Handy starrt, und James seine Kritzeleien auf den Notizblock wiederaufgenommen hat. Niemand sieht auf, als wir den Raum betreten. Luz setzt sich nahe der Tür auf einen Stuhl und holt Strickzeug aus einer ihrer unergründlichen Taschen. Ich lasse mich zwischen den Jungs nieder und suche nach einer Beschäftigung für meine Hände. Schließlich gebe ich es auf und beginne, an einem Fingernagel zu kauen, während ich James beobachte.
Dieses fieberhafte Gekritzel fängt an, mir Sorgen zu machen. Es ist zu erbittert, selbst für ihn. Ich will, dass er mich anschaut und etwas sagt, irgendetwas, nur damit das manische Kratzen des Stifts auf dem Papier aufhört. Und so frage ich: »Hast du etwas gegessen, James?«
»Hat er«, sagt Finn. James streicht mit hektischen Bewegungen etwas auf seinem Block durch.
»Du meinst das Sandwich, von dem er dreimal abgebissen hat?«, frage ich und deute mit dem Kopf zu den vergessenen Brotscheiben auf dem Tisch. »Ich glaube nicht, dass das als Essen zählt.«
»Und das sagst gerade du?«, sagt Finn sanft.
Ich spüre, wie das Blut aus meinem Gesicht weicht. Luz sieht zu mir, wendet sich aber schnell wieder ihrem Strickzeug zu. »Was soll das heißen?«
»Nichts.«
»Nein, sag schon!«
»Es heißt: Lass gut sein, Marina, okay? Er wird essen, wenn er Hunger hat.«
»Ich versuche nur, mich um ihn zu kümmern, nicht …«
»Herrgott, ich bin immer noch da, wisst ihr!«
Ich reiße meinen Kopf zu James herum. Er ist aufgestanden und schleudert den Notizblock in die entgegengesetzte Ecke des Raums, wo er gegen die Wand klatscht und hinter einem Stuhl zu Boden flattert.
»Nate liegt im Sterben. Nicht ich.«
Die Luft entweicht meiner Lunge. »James …«
»Ach, Schatz«, sagt Vivianne. »Sie versuchen doch nur zu helfen.«
James zieht seinen Mantel über. »Ich muss mal raus an die frische Luft.«
Ich springe auf. »Ich komme mit.«
»Nein, Marina! Ich brauche …« Er atmet einmal tief ein und senkt die Stimme zu einer normalen Lautstärke. »Ich brauche ein paar Minuten für mich, okay?«
Ich lasse mich zurück auf meinen Stuhl fallen und blinzle Tränen weg. »Ja. Klar.«
Als er weg ist, lasse ich die Stirn auf meine Knie sinken und lege die Hände über den Kopf.
»Lass ihm Luft zum Atmen, M.«
»Halt die Klappe, Finn!«, sage ich.
A CHT
Em
Vom langen Sitzen in der Kälte bekomme ich Krämpfe in den Beinen. Ich strecke sie vor mir aus und rolle die Füße vor und zurück, um die Muskeln zu dehnen und das Blut wieder in Bewegung zu bringen. Ich versuche, mich auf den Schmerz in meinen Waden und auf das Kribbeln der Taubheit in den Zehen zu konzentrieren anstatt auf das tiefe schwarze Loch in meinem Bauch.
Finn blickt hinauf zum Himmel. Ich bin mir nicht sicher, warum. In der Stadt sieht man keine Sterne, nur Schwärze und das blassblaue Glühen der Straßenlaternen.
»Es muss bald so weit sein«, sagt er.
»Ich weiß.«
»Wie fühlst du dich?«
»Was glaubst du wohl?«
Er legt die Hand über
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