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Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Titel: Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Finney
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schöne Kutsche auf, die vermutlich zur Ladies’ Mile unterwegs war. Und überall, wohin ich auch schaute, waren Schilder; es waren die Namen der Firmen, die in den Gebäuden untergebracht waren. Die meisten bestanden aus schwarzen Lettern vor weißem Hintergrund, oder goldenen vor schwarzem Hintergrund; sie hingen über den Gehwegen oder waren an Fenstersimsen oder Gebäudevorsprüngen befestigt und leicht nach vorne geneigt, sodass sie von der Straße aus gut zu lesen waren.
    Ich mochte die Straße; sie war abwechslungsreich und interessant anzusehen. Die Eingänge zu manchen Häusern lagen vier oder fünf Stufen über der Straße, die breiten Treppen waren oft durch Messinggeländer in der Mitte in Ein- und Ausgangsbereiche unterteilt. Gewöhnlich befanden sich im Souterrain Büros, Barbiere oder Restaurants; die Treppen zu diesen Untergeschossen waren durch schwarze Eisenzäune gesichert, die oben spitz zuliefen, damit niemand darüberkletterte. Die Gebäude bestanden aus allen möglichen Materialien; viele waren aus Backstein und Holz. Es gab manche, deren gesamte Fassaden, bis hinauf zum dritten oder vierten Stockwerk, aus Gusseisen bestand; daneben gab es Marmor, Granit, braunen Sandstein, Holz und sogar Stuck. Und sie waren aus ganz verschiedenen Perioden; zwischen den neueren vier- und fünfstöckigen Bürogebäuden kam ich an vielen kleinen, bescheidenen Häusern vorbei, die augenscheinlich aus älteren Zeiten stammten. In den oberen Stockwerken besaßen sie altmodische Dachfenster, die unteren Stockwerke waren zu Geschäften mit großen Schaufenstern umgewandelt worden. Vor einem dieser Fenster hatten sich ein paar Männer versammelt, zu denen ich mich gesellte. Ein Mädchen, steif, formell und ein wenig verlegen, demonstrierte den Gebrauch einer Schreibmaschine. Eine sehr fremd anmutende Konstruktion, die sehr hoch und fast vollständig offen war, sodass man einen Einblick in die Mechanik hatte. Hier und da war sie mit goldenen und roten Arabesken verziert. An die Fensterscheibe waren Proben ihrer Arbeit geklebt, die die Maschine, ihre Geschwindigkeit und Überlegenheit gegenüber der Handschrift priesen. Wir beobachteten sie so lange, bis sie einen kurzen Geschäftsbrief beendet hatte. Dann befestigte sie ihn ebenfalls am Fenster und begann mit einer neuen Probe. Ein Mann neben mir sagte: »Bald werden wir sie überall haben, Sie werden es sehen.« Aber ich schüttelte den Kopf. »Nein, sie werden sich niemals durchsetzen. Sie sind viel zu unpersönlich.« Nachdenklich blickte er mich an.
    Ich ging weiter; die Gehwege waren überfüllt, meistens mit Männern. Gab es hier mehr stämmige und fast fette Männer als im zwanzigsten Jahrhundert? Mir kam es jedenfalls so vor. Dutzende von Jungen – warum waren sie nicht in der Schule? – drängten sich in Botenuniformen durch die Menge; sie waren, nahm ich an, das Gegenstück zu unseren heutigen Telefonen. Daneben andere, kaum ältere, die Leinensäcke mit, wie es schien, richtigen Münzen schleppten; ich hörte sie klimpern. Und jüngere, manche von ihnen noch nicht einmal sechs Jahre alt, die tatsächlich in Lumpen gehüllt waren, mit schmutzigen Gesichtern und Händen. Einige von ihnen verkauften Zeitungen. Es gab alle Morgenblätter – den Herald, die Times, Tribune, Sun, World  – und schon die ersten Nachmittagsausgaben: den Daily Telegraph, die Staats Zeitung, Telegram, Express, Post, Brooklyn Times, Brooklyn Eagle und andere, an die ich mich nicht mehr erinnern kann. Alle hatten Schlagzeilen über das Guiteau-Urteil; viele der Passanten, die vorübergingen, führten seinen Namen im Mund. Andere kleine Jungen wiederum putzten an tragbaren Ständen, die sie mit Riemen über der Schulter trugen, Schuhe und Stiefel. Das waren die Jungen, fiel mir plötzlich ein, über die Horatio Alger geschrieben hatte; er lebte jetzt, erinnerte ich mich, vielleicht schrieb er gerade in diesem Moment an Tom, der Schuhputzer. Aber die leuchtenden, eifrigen, fröhlichen Gesichter, über die er geschrieben hatte, waren hier nicht zu sehen. Diese Gesichter, selbst die der Sechsjährigen, waren entschlossen, durchtrieben und wachsam, was sie auch sein mussten, um überhaupt etwas zu essen zu bekommen  – ich glaubte, es von ihren Mienen ablesen zu können. Plötzlich blieben einige Männer vor mir stehen, traten an die Bordsteinkante und zogen ihre Uhr aus der Westentasche. Innerhalb von wenigen Minuten säumten Hunderte von Männern den Bordstein des Broadway und

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