Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)
weißen knielangen Hosen und roten, spitz zulaufenden Pantoffeln Tonkabohnen aus seinem Bauchladen. Bevor er jedoch seinen Weg zu uns gefunden hatte, war meine Aufmerksamkeit von etwas anderen gefangen genommen worden, und ich hatte Julia mit mir gezogen; in einem Fenster, vor dem bereits einige Zuschauer versammelt waren, saß ein kleines Kind – es konnte kaum älter als zwei Jahre sein – auf einer, wie das Schild im Fenster und die Plakate dahinter verkündeten, patentierten Kinderschaukel. Apathisch saß es dort und hielt eine Rassel in der Hand, ein lebendes Schaufensterobjekt; vielleicht war es mit einer Dosis eines der Laudanum-Präparate betäubt, für die in Harper’s geworben wurde.
Aber es war, mit oder ohne zur Schau gestelltem Kind, eine schöne und aufregende Ladies’ Mile. Bevor wir ihr Ende erreichten, kamen wir noch an einigen alten Freunden vorbei: Ich erinnere mich an Revillon Frères unterhalb der 9th Street, an W. & J. Sloane zwischen der 3rd Street und Bleecker. Wir sahen ein Rechengenie mit einer schwarzen Tafel, der mit unglaublicher Geschwindigkeit jedes mathematische Problem, das die Leute ihm zuriefen, löste. Er war ein Wunder. Zu seinen Füßen stand eine Zigarrenschachtel mit einigen Münzen, in die ich einen Quarter warf; ich fragte mich, wer er wohl war – oder einst gewesen sein mochte.
An der Bleecker trat Julia neben einer Laterne zur Seite, um den Fußgängern nicht im Weg zu sein, und zeigte über die Houston zur, wie sie sagte, Prince Street, die einige Blocks entfernt lag. Das neue Backsteingebäude an der nordwestlichen Ecke, das sei Rogers Peet, sagte sie. Sie wolle mich nun hier verlassen, um zurückzugehen und ihre Einkäufe zu erledigen. Ich war mir nicht sicher, ob ich ihr die Hand geben sollte, tat es dann aber dennoch. »Julia«, sagte ich, »das war mit das Schönste, was mir im Leben passiert ist.«
Sie lächelte über die, wie ihr schien, gnadenlose Übertreibung und sagte, auch ihr habe es gefallen. Der Augenblick, eine Art irregeleiteter Intimität, verlieh mir plötzlich Mut, und ich sagte: »Julia, Sie können doch nicht ernsthaft in Betracht ziehen, Jake zu heiraten.«
Sie starrte mich an. »Und warum nicht?«
Sie schien tatsächlich erstaunt zu sein, aber so ganz vermochte ich es nicht glauben. »Warum … er ist viel zu alt für Sie. Und zu fett, zu hausbacken. Überhaupt einfach zu lächerlich, Julia!«
Nach einiger Überlegung sagte sie: »Sie sind es, der lächerlich ist. Er ist ein Bild von einem Mann. Noch lange nicht zu alt. Und er wird gut für mich sorgen.« Sie legte ihre Hand auf meinen Arm und lächelte. »Eine Frau muss solche Dinge in Betracht ziehen, Sie Dummkopf. Lieber jetzt praktisch sein als eine alte Jungfer werden.« Rasch wandte sie sich ab und ging den Broadway wieder hinauf.
Ich sah ihr nach. Bis auf den Abschied im Verlauf des Tages mit einer Entschuldigung, die ich mir noch einfallen lassen musste, würde ich sie jetzt zum letzten Mal gesehen haben. Früher dachte ich, dass ein Mädchen in einer Turnüre mir lächerlich erscheinen würde, Julia aber tat es nicht; sie sah reizend aus, einfach wunderbar, und ich bemerkte, dass die Kleidung der Leute, die an mir vorübergingen, sogar die glänzenden Seidenhüte, mir schon ganz normal vorkamen.
Julia war kaum mehr zu sehen. Ein letztes Aufleuchten ihres purpurfarbenen Kleides, dann war sie fort, verschmolzen mit den anderen Fußgängern, und ich ging weiter.
Zum City Hall Park würden es etwa zwölf Blocks sein; ich würde viel zu früh dort ankommen. Ein schwacher Wind war aufgekommen, und es wäre viel zu kalt, um im Park zu sitzen und zu warten. Außerdem konnte ich es nicht riskieren, von Pickering dort gesehen zu werden. Ich musste weitergehen. Einige Augenblicke lang aber stand ich vor dem kleinen Park, blickte hinüber zur City Hall und auf das dahinter liegende Gerichtsgebäude und wunderte mich, wie wenig sie sich verändert hatten. Soweit ich mich erinnerte, sah der ganze Park genauso aus wie später zu meiner Zeit. Ich holte meinen Skizzenblock hervor, betrat die Anlage und skizzierte alles: City Hall, Gerichtsgebäude, die Wege, Bänke und winterlichen Bäume. Ich betrachtete die Zeichnung; sie hätte auch in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts angefertigt worden sein können.
Aber dann fügte ich einige Fußgänger hinzu und den Verkehr: eine Kutsche, auf Kundschaft wartende Einspänner an einer Broadway-Kreuzung, einen großen grün-gelben
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