Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Titel: Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Finney
Vom Netzwerk:
gesagt?«
    »Oh, sein Thema war die englische Renaissance. Ich nehme an, ich habe ihm nicht die Aufmerksamkeit schenken können, die er verdient hatte; Jake war verärgert. Aber ich war noch mehr über Jake verärgert. Fast jeder lachte, als Mr. Wilde erschien, Jake so laut wie alle anderen.«
    »Worüber?«
    »Über seine Kleidung: Frack, Kniebundhosen, Schleifen an den Schuhen. Und er trug weiße Ziegenlederhandschuhe. Er hat ein sehr großes Gesicht.«
    »Aber was hat er denn nun gesagt? Sie müssen sich doch an etwas erinnern?«
    »Nun … er sprach von Byron, Keats, Shelley, den Präraffaeliten. Und er sagte, ›nichts über diese großen Männer zu wissen, gehört zu den notwendigen Bestandteilen der englischen Erziehung‹, und alle lachten. Ich glaube, ihm gefiel das, denn dann sagte er, ›sie besaßen drei Dinge, die die englische Öffentlichkeit niemals verzeiht: Jugend, Kraft und Enthusiasmus‹. Auch dafür gab es lauten Applaus. Dann sagte er, ›Satire erwies ihnen die Anerkennung, die Mediokrität dem Genie zuteil werden lässt‹.«
    »Das hat er wirklich gesagt?« Ich lächelte und schüttelte den Kopf. »Das hat Oscar Wilde wirklich gesagt?«
    »Natürlich«, sagte sie abwesend, fast gleichgültig; sie starrte auf einen alten Mann, der ein gläsernes Behältnis auf einem Fass am Straßenrand vor sich stehen hatte.
    Sein Bart war weiß und struppig, er hatte ein Holzbein und trug eine Offiziersmütze, deren Schirm sich grünlich verfärbt hatte. Als wir näher traten, erkannten wir hinter dem Glas ein Schiffsmodell, das unter vollen Segeln über ein Meer aus Stoffwellen fuhr. Oben auf dem Behältnis befand sich ein handgeschriebenes Schild mit der Aufschrift: Die Arbeit eines armen alten Seemanns.
    Als wir neugierig stehen blieben, drehte der Mann an einem Holzknopf, und das Schiff begann zu schaukeln; die Wellen bewegten sich – mehrere Stoffschichten in gegensätzlichen Richtungen. Geduldig starrte er in weite Ferne, um nicht den Eindruck zu erzeugen, er bettle; doch neben dem Schild stand eine Holzschachtel mit einem Schlitz. Ich warf einen Quarter hinein und spürte Julias Arm unter meinem, der mich unsanft anstupste. Als wir weitergingen, flüsterte sie mir zu: »Man sagt, er besitzt einen ganzen Block mit schönen Häusern in Brooklyn!«
    Als ob es ihr gehöre, zeigte mir Julia stolz ein riesiges Geschäft zwischen der 9th und 10th Street am Broadway, A. T. Stewart’s; wir blieben stehen, damit ich es ausgiebig bewundern konnte. Ich kannte dieses Geschäft; ich wusste, es würde bis in die 1950er hinein als Wanamaker’s überleben, nicht bewusst war mir allerdings gewesen, dass es aus weißem Marmor gewesen war. Als wir ganz nah waren, erkannte ich jedoch, dass es gar kein Marmor war, sondern weiß gestrichenes Gusseisen. Ganz in der Nähe befand sich Bunnel’s Museum, das auf handbemalten Schildern seine Schaustücke anpries: Dicke Frauen, Skelette, Zwerge, Zulus, Dr. Lynn, der Vivisektionist! Er schneidet Menschen auf! Er bringt Menschen zum Lachen! Und gegenüber von Stewart’s befand sich Jacksons Trauerhaus; die Fenster des Geschäfts waren voll mit schwarzer Frauen-, Männer- und Kinderkleidung, inklusive Seidenhüte mit schwarzen Crêpe-Bändern, die bis zum Rücken herabhingen. Ein Schild im Fenster kündete von Reduzierten Preisen wegen Inventur. Ich machte einen kleinen Witz, indem ich sagte, dies wäre vom wirtschaftlichen Standpunkt aus eine gute Zeit zum Sterben. Julia schaute mich verwirrt an, dann lachte sie, als sei dies eine völlig neue Art von Witz, was es vielleicht auch war.
    Ein zerlumpter Mann, der auf uns zukam, hielt Julia eine Zigarrenschachtel voll mit kleinen Kugeln unter die Nase; er begann auf Julia einzureden, doch sie schnitt ihm scharf das Wort ab, und wir ließen ihn stehen. Er verkaufe ›Fettentferner‹, sagte Julia, um Flecken aus der Kleidung herauszubekommen, die allerdings nicht funktionierten. Sie hatte ihm einmal eine Kugel für einen Dime abgekauft und sie ausprobiert. Dann kam uns ein Mann entgegen, dessen Finger unermüdlich hin und her flogen. Als wir näher kamen, sah ich, dass er ein komisches Ding in Händen hielt, einen Nadeleinfädler, mit dem er ohne Unterlass das Einfädeln einer Nadel in der Luft demonstrierte. An seinem Revers steckten Dutzende dieser Gerätschaften, und er rief immer und immer wieder »zehn Cents, zehn Cents, zehn Cents«. Nicht weit hinter ihm verkaufte ein Türke in rotem Fez, roter, goldverzierter Weste,

Weitere Kostenlose Bücher