Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Titel: Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Finney
Vom Netzwerk:
Stille; über eine Antwort wäre ich auch überrascht gewesen. Ich stieg die Treppe halb hinunter und blieb dann stehen. Ich wollte nicht in einem dunklen Keller herumstolpern und mir die Beine brechen. Über mir ging das Quietschen und Schaben endlos weiter. Ich formte mit meinen Händen einen Trichter und rief erneut; wieder Stille. Dann schrie ich: »Ist dort irgendjemand?«, und erhielt endlich eine schwache Antwort von einer fernen Stimme. Ich ging wieder hoch, wartete ein Weilchen und hörte schließlich das Schlurfen von Schritten. Ich blickte hinab und sah einen hageren alten Mann, der langsam aus der Dunkelheit des Kellers auftauchte. Er hielt sich mit einer Hand am Treppengeländer fest. Im matten Treppenhauslicht erschienen nach und nach eine Kegelkugel mit Pigmentflecken, blaue Augen, die mich anblinzelten und die vermutlich eine Brille brauchten; dann tauchten breite grüne Hosenträger über den Schultern eines weißen Hemdes auf, schließlich trat auch der Rest aus der Finsternis heraus; langsam hoben sich die Knie, während er hochging, seine Hose war ihm um die Hüfte viel zu weit und schlotterte ihm um den Körper.
    Als er die letzten Stufen in Angriff genommen hatte, richtete ich ihm Dr. Primes Botschaft aus; traurig nickte er mit dem Kopf. »Ich weiß, ich weiß. Jeder beschwert sich. Es ist wirklich zu warm!« Er betrat das Entree, seufzte und deutete auf den Putz an der Wand neben mir. »Fühlen Sie nur!« Ich legte die Hand an die Wand und nickte; es war ziemlich warm. »Die Heizungsrohre gehen hier durch, und wir verbrennen gerade Holz.« Er sandte einen Blick hoch zu den Säge- und Quietschgeräuschen und verdrehte dabei die Augen. »Brechen einen Aufzugsschacht durch die Decken, und der Hausbesitzer will, dass wir die alten Holzböden verbrennen«, sagte er verächtlich. »Um Kohlen zu sparen. Erzeugt Wärme und macht mehr Arbeit.«
    Ich hörte ihm zu, verzog mitfühlend das Gesicht und sagte dann, dass ich einen Mieter suchte, Jacob Pickering. Er seufzte und sagte: »Nun, Mr. Pickering, worüber wollen Sie sich beschweren? Wenn es Ihnen zu heiß sein sollte, dann …«
    »Nein, ich bin nicht Pickering. Ich suche ihn. Wo ist denn sein Büro?«
    Aber das war zu viel für ihn; kopfschüttelnd wandte er sich dem Keller zu und sagte: »Keine Ahnung – wie auch? Ich kenne nur die alten Mieter, ich kannte jeden Einzelnen, als die Zeitung noch hier war. Nun ist die Zeitung ausgezogen und mit dem Gebäude geht es bergab. Es heißt jetzt Potter Building«, sagte er verächtlich. »Die alten Mieter ziehen so schnell wie möglich aus, wenn ihr Mietvertrag abläuft, und die neuen kommen und gehen. Manche sind sogar nur Untermieter, und weder ich noch Mr. Potter wissen etwas über sie. Ich kann mich nicht mehr darum kümmern. Waren Sie schon oben?« Ich sagte nein, und er schüttelte den Kopf angesichts der Unmöglichkeit, die richtigen Worte dafür zu finden. »Kaninchenställe. Aufgeteilt in kleine neue Büros mit Sperrholzwänden; man kann durch sie hindurchspucken! Sogar neue Korridore gibt es dort oben, und es sollen noch mehr entstehen, dort, wo die Zeitung war. Wer weiß schon, wer alles jetzt dort oben ist.«
    Ich war einen Moment ratlos, dann fiel mir etwas ein. »Wie bringen Sie ihnen denn die Post, wenn Sie nicht wissen, wer sich dort oben befindet?«
    Er murmelte etwas, zog den Kopf ein und wollte wieder hinabsteigen. »Oh, irgendwie schaffe ich das schon; ich habe es immer irgendwie geschafft.«
    »Davon bin ich überzeugt, aber wie?«
    Jetzt gab es kein Schlupfloch mehr für ihn; er schaute mich an und sagte: »Ich führe ein Buch.«
    Das hatte ich mir gedacht. »Und wo ist dieses Buch?«
    »Unten«, sagte er verärgert. »Irgendwo da unten; ich weiß nicht genau, wo …«
    Ich hatte meine Hand in die Tasche geschoben. »Nun, mir ist bewusst, dass das mit Unannehmlichkeiten verbunden ist.« Ich fand einen Quarter; das war mehr als der Stundenlohn dieses Mannes, und reichte ihn ihm. »Aber ich wäre Ihnen dankbar …«
    »Sie sind ein Gentleman, Sir, zu Diensten. Bin in einer Minute zurück.«
    Es dauerte länger, aber er kam mit einem Büchlein in der Hand die Treppen wieder hoch. Der Pappeinband wellte sich und die oben Kanten der Seiten waren umgeknickt; durch eine der Ecken war ein Loch gebohrt, durch das ein schmutzig weißer Bindfaden gezogen war. Er öffnete das Buch, überflog die Seiten, während er sie langsam umblätterte und dabei jedes Mal den Daumen anfeuchtete. Ich

Weitere Kostenlose Bücher