Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)
wollte das lieber als alles auf der Welt. Tante Ada nahm mir die Tasche ab und brachte sie ins Haus, Byron und Felix stellten mich ihren Begleiterinnen vor: Felix’ Dame war sehr jung und schön, die von Byron älter und, obwohl ihr Gesicht mit Pockennarben bedeckt war, attraktiv; sie hatte einen wachen, intelligenten Blick. Höflich luden sie mich ein, ihnen Gesellschaft zu leisten; doch noch bevor ich darauf etwas erwidern konnte, mischte Jake sich ein: ich müsse unbedingt mit ihnen fahren, nahm mich am Ellbogen und dirigierte mich zu seinem Schlitten. Als Julia vorschlug, alle drei vorne zu sitzen, stimmte Jake enthusiastisch zu und bot mir die ›Seile‹, er meinte die Zügel, an. Ich gab es auf, darüber nachzudenken, was passieren konnte; Jake, nahm ich an, war manisch-depressiv veranlagt, ein emotionales Pendel, und beließ es vorerst dabei.
Er ergriff die Zügel, nachdem ich dankend abgelehnt hatte; die Pferde hätten sich lachend zu mir umgedreht, wenn ich versucht hätte, sie zu führen. Maud und Tante Ada saßen hinten, Julia vorne zwischen Jake und mir. Es hatte, wie ich entdecken musste, etwas sehr Intimes, sich unter der Decke, mit Knie und Hüfte, an die junge Frau anzuschmiegen. Ich zog jedoch die Decke auch zu mir herüber und warf dabei einen kurzen Blick auf Jake, der mich, die Hände an den Zügeln und bereit, loszufahren, angrinste. Weniger angenehm allerdings war, dass unsere Schultern aneinanderstießen, also zog ich den linken Arm unter der Decke hervor und legte ihn auf die Rücklehne des Sitzes, hinter Julia, sorgfältig darauf bedacht, sie nicht zu berühren; es hatte keinen Zweck, sich dem Gedanken hinzugeben, wie schön es war, so nah neben ihr zu sitzen. Ich zwang mich dazu, endlich die Umgebung zu genießen, die Schneemützen auf den Eisenzäunen, den weißen Puder auf den Bäumen und Sträuchern des kleinen Gramercy Park.
»Fertig?«, schrie Felix über die Schulter nach hinten, jubelnd rief Jake zurück, er sei bereit. Die Zügel schnalzten gleichzeitig, und beide Gespanne fuhren los, die Glöckchen am Zaumzeug begannen zu klingen. Die Schlitten glitten leicht durch den Schnee und die Pferde fielen etwas zurück; bei einem zweiten Schnalzen der Zügel, als wir die Ecke zur 21st Street umfuhren, warfen sie ihre Köpfe hoch, gaben eine Wolke weißen Atems von sich und fielen in Trab; offensichtlich genossen sie die Ausfahrt ebenso sehr wie wir. Und nun klangen die Glöckchen wie zarte Melodien.
Alles, was ich über diesen Nachmittag und Abend sagen kann, ist, dass er wunderbar war. Ein Traum. Die weißen Straßen von Manhattan waren voller Schlitten; die Luft war erfüllt vom Klingen der Glocken, das, ich kann es nicht anders sagen, etwas überaus Poetisches hatte. Die Fuhrwerke und großen Wagen, die sich unter der Woche hier tummelten, waren verschwunden, selbst Pferdebusse tauchten nur selten auf; die Straßen und Gehwege gehörten den Menschen.
Auf den Wegen wurden Kinder auf Schlitten gezogen, Schneebälle geworfen und Schneemänner gebaut; Kinder, Erwachsene, alte Männer und Frauen lachten und riefen sich Scherze zu. Und in den Straßen, durch die wir und die anderen Schlitten fuhren, wurde uns allerlei Fröhliches zugerufen, und wir riefen zurück. Manchmal lieferten wir uns Rennen; wir rasten die 5th Avenue hoch, zwei weitere Gespanne neben uns. Die Fahrer waren aufgestanden, Peitschen knallten, die Mädchen schrien – so ging es fast zwei Blocks weit, bis ein entgegenkommender Schlitten uns wieder in die Reihe zwang. Irgendwo auf der Höhe der 50th, Felix’ Schlitten lag ein paar Häuser hinter uns, bog Jake plötzlich in eine Querstraße ab, als ein von Norden kommender Schlitten dies ebenfalls tat. Mit bimmelnden Glocken trotteten wir nebeneinander her und lächelten uns zu.
Es war ein großer, grün lackierter Schlitten mit Schwanenhals, ein wunderschönes Gefährt. Fünf junge Männer um die zwanzig saßen darin, und ein Mädchen mit einer rot-weißen Strickmütze, die unter ihrem Kinn gebunden war, begann zu singen: Dashing through the snow! In a one-horse open sleigh! O’er the field we go! Und bei der Zeile Laughing all the way! fielen schließlich alle ein; bis auf mich kannten alle den ganzen Text auswendig. Zum Rhythmus der Pferdehufe und dem Klingeln der Glöckchen wurden dann alle Strophen gesungen: Bells on bobtail ring! Making spirits bright! What fun it is to ride and sing – und das war es auch, oh ja, das war es – a sleighing song tonight!
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