Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Titel: Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Finney
Vom Netzwerk:
schaukelnden Rücken der Pferde nach vorne auf das Kopfsteinpflaster, das im Schatten der über uns verlaufenden Hochbahngleise lag. Meine Augen tränten vor Kälte und Fahrtwind. Hin und wieder fielen Böen eines lästigen Seitenwinds über uns her, die Schneewehen über die Gleise trieben. Der Fahrer hatte mir einen misstrauischen Blick zugeworfen; warum sollte ich auch ohne Grund in der Kälte stehen! Ich lächelte ihn an. Er trug eine flache runde Stoffmütze, die weit über Ohren und Nacken reichte, um sie zu schützen, darüber ein zerlumptes, braunes Stricktuch, das unter dem Kinn geknotet war. Sein Schnauzbart war riesig. Er trug einen schweren braunen, sehr abgetragenen Stoffmantel; die eine große Tasche, in der ein Tuch steckte, war halb abgerissen. Er hatte dicke Stiefel an, schwere vereiste Fäustlinge und offensichtlich so viele Kleidungsstücke unter dem Mantel, wie darunter passten; sein Körper sah dadurch formlos aus. Das flackernde Licht der vorderen Wagenlaternen beleuchtete sein Gesicht. Ich brauchte ein bisschen, bis ich erkannt hatte, dass er nicht alt war; sein Gesicht jedoch war zerfurcht und von kleinen geplatzten Äderchen überzogen, seine Farbe war die von ungekochtem altem Rindfleisch.
    Er stand an seinem Platz, die meiste Zeit hielt er lose die Zügel in den Händen und versuchte der Kälte zu trotzen; ich konnte nicht verstehen, warum die Plattform offen sein musste. Vor uns bog aus einer Querstraße ein leichter Lieferwagen in die 3rd ein; mit seinen Rädern schob er sich in die Gleise, auf denen leichter fortzukommen war. Er fuhr ein wenig langsamer als wir; der Pferdebahnfahrer trat auf seine Fußglocke, und der Wagen vor uns wurde ein wenig schneller.
    »Kalt«, sagte ich dann und zog meine Schultern zusammen; kein wirklich dummer Kommentar, nur ein nicht gerade glänzender Versuch, das Gespräch zu eröffnen.
    »Ja. Es ist kalt«, sagte er spöttisch.
    Ein halbes Dutzend Hufschläge lang schwieg ich. »Gewöhnt man sich je daran?«, fragte ich dann. »Irgendwann? Ich glaube nicht, dass ich es ertragen könnte.«
    »Daran gewöhnen? Das ist wohl ein Witz.« Er dachte ein bis zwei Sekunden darüber nach. »Nein, man gewöhnt sich nicht daran. Man hält es höchstens aus, das ist alles. Wenn Sie wirklich wissen wollen, was richtige Kälte ist, dann bewerben Sie sich im Winter als Pferdekutscher. Wenn ich eine Expedition zum Nordpol führen sollte und brauchte dafür Männer, die das Klima ertragen, dann würde ich diese Kutscher nehmen. Ein Mann, der das aushält, hält alles aus.« Ein Anfall von Redseligkeit; ich hatte das Gefühl, dass ich seit Langem der erste Passagier war, der ihm die Möglichkeit dazu gegeben hatte. Einen halben Block lang sagten wir nichts; dann fiel an einer Querstraße eine solch eiskalte Böe über uns her, dass das Pferd ins Stolpern kam. Ich drehte dem Wind den Rücken zu, zog die Schultern ein und litt. Ich würde es nicht mehr lange draußen aushalten können und wollte nach drinnen gehen, tat es aber nicht.
    Als er sah, dass ich nicht reinging, musste er ein wenig lächeln und begann wieder zu reden. »Ziemlich kalt, was? Ich sehe, Sie stampfen mit den Füßen und stecken die Hände in die Taschen und freuen sich darauf, an einen warmen Ofen zu kommen. Aber ich muss das den ganzen Tag ertragen; ich stehe hier draußen bei Wind und Wetter, bis meine Hände so steif gefroren sind, dass ich die Zügel nicht mehr spüre, und in meiner Nase ist so wenig Gefühl wie in einem Eiszapfen.«
    »Wie lange müssen Sie denn arbeiten?«
    »Vierzehn Stunden am Tag, manchmal länger, bis der Wagen gereinigt und alles fertig ist. Bleibt nicht viel Zeit, um die Familie zu sehen, was?« Ich sagte, da habe er wohl recht, und er nickte und sagte: »Was glauben Sie, was wir verdienen?« Der Damm war nun gebrochen. Da ich keine Ahnung hatte, konnte ich nur den Kopf schütteln. »Einen Dollar und neunzig Cents am Tag. Oder ein wenig mehr für die langen Routen nach Harlem; das ist das Maximum, was wir verdienen können. Wir sollen sieben Touren am Tag fahren, die Tour zu siebenundzwanzig und ein Siebtel Cents. Wenn die Wagen blockiert sind, schaffen wir nicht so viele Touren und verdienen weniger. Und dann stellen Sie sich vor, mit einem Dollar neunzig Cents am Tag eine Frau und Kinder zu versorgen. Die meisten von uns arbeiten auch am Sonntag; arme Leute können es sich nicht leisten, in einer großen Stadt wie dieser an einem Feiertag zu ruhen. Manchmal, wenn ich am

Weitere Kostenlose Bücher