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Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Titel: Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Finney
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beantworte das eine Frage. »Ich bin hier, es tut mir leid, das sagen zu müssen, um einen Ihrer Gäste zu observieren.« Ich wartete einen Augenblick, dann setzte ich hinzu: »Wegen Erpressung.« Ihre Augen weiteten sich erwartungsvoll; sie wusste, ich sprach nicht von Felix oder Byron, und ich nickte. »Ob das jemals öffentlich bekannt wird, weiß ich nicht. Vielleicht wird das nicht der Fall sein. Vielleicht wird sein Plan sogar gelingen. Ich bin nicht von der Polizei.« Ich zögerte und sagte dann: »Julia, ich musste Ihnen das einfach sagen, denn Sie dürfen ihn nicht heiraten.«
    Mit gleichmütiger Stimme, weder zustimmend noch aufbegehrend, fragte sie: »Und wen, meinen Sie, erpresst er?«
    Ich sagte es ihr; der Name bedeutete ihr nichts. Aber dann beschrieb ich mit beinahe denselben Worten, wie Jake es getan hatte, seine Vorbereitungen in den vergangenen zwei Jahren, den wirklichen Grund, warum er in der City Hall gearbeitet hatte. Ich vermute, es klang plausibel für sie, wie ihr Gesichtsausdruck zeigte – einigen unbeantworteten Fragen war gerade eine mögliche Antwort gegeben worden. Ich erzählte ihr von dem für in dieser Nacht geplanten Treffen, dass ich dabei sein und wie ich es bewerkstelligen wollte. Dann ließ sich Julia alles eine ganze Weile durch den Kopf gehen. Vor ihrem Bett lag ein ovaler, geknüpfter Läufer, der vom vielen Waschen ausgebleicht war; auf den starrte sie nun, blickte dann wieder zu mir hoch und dann wieder auf den Läufer. Ich lehnte mich an das Fenster, spürte durch meinen Mantel hindurch die Kälte der Glasscheibe und sah mich im Zimmer um. Es war sehr schön und sehr karg. An den Wänden hingen gerahmte Bilder ohne besonderen Wert, auf dem Fensterbrett lagen einige Bücher und eine Kirchenzeitung. Die Buchtitel konnte ich nicht erkennen. Die Wände waren bis etwa einen Meter unter der Decke tapeziert, dann kam sauberer weißer Putz. Die einzige Gaslicht, das sich direkt über dem Kopfende ihres lackierten Eisenbettes befand, war mit einer opaken weißen Kugel versehen.
    Ein angenehmes, bequemes Zimmer, ein akzeptabler Rückzugsraum für eine viel beschäftigte Person, die sich dort nicht viel aufhielt. Aber es besaß einen fast gewählt unpersönlichen Charakter; während ich mich umblickte und dabei Julia anschaute – sie kaute auf ihrer Unterlippe und betrachtete stirnrunzelnd den Läufer, den sie mit der Spitze ihres Schuhes leicht hin und her schob –, glaubte ich zu ahnen, woran sie gerade dachte. Sie war eine intelligente energische Frau, die ihrer Tante half, zu ihrem Lebensunterhalt eine Pension zu führen. Sie musste bereits schlechte Zeiten erlebt haben und sie hatte ganz sicher ein Gespür für die Realität. Vielleicht dachte sie an ihre eigene Zukunft, und die lag sicherlich nicht in diesem Zimmer, sondern in einer Heirat. Sobald sie jedoch meine Geschichte über Jake gehört hatte, war sie überzeugt davon, dass sie wahr sein konnte.
    Dachte sie daran, ihn trotzdem zu heiraten? Oder ihn vor mir zu warnen? Vielleicht, aber das glaubte ich nicht. Das war das Risiko, das ich eingehen musste. Ich kannte ihre Gefühle für Jake nicht, als sie einwilligte, ihn zu heiraten. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es Liebe war, aber wer weiß das schon; wer kann schon sagen, was dieses Wort für jemand anderen überhaupt bedeutet? Sie empfand sicher etwas für Jake; zu einem gewissen Grad mochte sie berechnend sein, aber sie war nicht skrupellos. Sie schätzte vermutlich nur sich selbst und ihre Zukunft sehr realistisch ein. Und sie nahm meine Worte gegen Jake nicht einfach hin, stritt die Möglichkeit aber auch nicht ab. Ich wusste nicht, ob ich aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahrgenommen hatte, jedenfalls drehte ich mich um und sah auf die Straße hinab. Jake trat gerade von der untersten Stufe auf den Gehweg und knöpfte sich den Mantel zu. Ich trat schnell zurück, um nicht gesehen zu werden, falls er hochblicken sollte.
    Julia wusste augenblicklich, was ich gesehen hatte. Sie trat zum Vorhang, zog ihn ein Stück zur Seite – ich stand nun hinter ihr und sah ihr über die Schulter – und beobachtete Jake, der schnell zur Ecke der 20th Street ging und dann verschwand. Ich glaube, Julia hätte sich auch sonst so entschieden, wie sie es tat, aber das bestärkte sie vermutlich nur noch. Nachdem er fort war, starrte sie ihm noch einen Augenblick lang nach, dann drehte sie sich um und – sie fragte nicht, sondern sagte es nur: »Ich werde Sie heute Nacht

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