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Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Titel: Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Finney
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System, nach dem sie zu finden sind, befindet sich in meinem Kopf. Aber Sie haben erst zwei in zwei Stunden gefunden! Wollen Sie nicht langsam einsehen, dass Sie mit mir verhandeln müssen?«
    Carmody ließ sich weder unterbrechen, noch blickte er auf. »Die ganze Nacht und auch den ganzen nächsten Tag für eine Million Dollar ist Lohn genug für mich.« Und das gleichmäßige, endlose Durchblättern der Papiere setzte wieder ein.
    Verschwommen sah ich zu; es gab keine andere Möglichkeit, die Zeit zu messen, als auf den nächsten Schlag der Uhr zu warten. Schließlich, ohne seine Arbeit zu unterbrechen, hob Carmody langsam einen Fuß und bewegte das Bein auf und ab, spannte die Muskeln und ließ den Fuß kreisen. Das gleiche wiederholte er mit dem anderen Bein, dann stand er wieder ruhig da, breitbeiniger als zuvor, und blätterte die Unterlagen durch. Ich war weder wach noch schlief ich; ich starrte nur zu ihm hinüber. Nach einiger Zeit hielt Carmody einen Moment lang inne, schien nachzudenken, dann zog er die gesamte Schublade aus dem Schrank und schleppte sie, er hatte schwer an der Last zu tragen, zum Schreibpult. Er setzte sich auf die Kante des Pultes, der Schublade gegenüber, und nahm seine Suche wieder auf. Pickering lachte. »Ich habe mich schon gefragt, wann Sie wohl auf diese Idee kommen würden«, sagte er. »Wenn Sie müde werden sollten, darf ich Ihnen vielleicht meinen Stuhl anbieten.« Aber Carmody drehte nicht einmal den Kopf nach ihm um; seine Finger hörten mit dem Blättern nicht auf.
    Ich legte mich neben Julia. Um uns herum war es stockdunkel und ich vermochte nicht zu sagen, ob sie wach war, und wollte nicht unnötig flüstern. Ich wünschte mir eine Tasse Kaffee; in dem Moment, als ich daran dachte, wollte ich sie so sehr, dass ich fast verzweifelte. Etwas zu essen, dachte ich dann, und fühlte mich augenblicklich ausgehungert. Ich zwang mich zu einem Lächeln und fragte mich, wie lange wir noch hierbleiben konnten; ich hatte das alles nicht vorausgesehen. Konnte Carmody es ernst meinen, den ganzen nächsten Tag hierzubleiben? Unmöglich; er musste sich etwas zu essen besorgen, er musste schlafen. Genau wie Jake; wenn sie beide einschliefen, könnten Julia und ich uns vielleicht irgendwie davonschleichen. Ich wurde schläfrig und zwang mich dazu, die Augen offen zu halten. Ich wagte nicht einzuschlafen; einen halben Meter zu meiner Rechten hörte der Boden auf. Ich konnte wegrollen und drei Stockwerke tief bis in den Keller abstürzen. Ich setzte mich auf; Julia schlief, ich konnte ihr kaum vernehmbares, gleichmäßiges Atmen hören. Aber ich konnte nicht mehr zurück zur Tür, da sie wegrollen, hinabfallen oder sich bewegen konnte und es im angrenzenden Raum zu hören war. Ich musste hier neben ihr bleiben, bereit, sie leise aufzuwecken, falls sie sich zu rühren begann.
    Zwei Stunden lang wagte ich nicht, auch nur die Schulter oder den Kopf gegen die Wand zu lehnen. Mein Kopf fiel immer wieder nach unten, ebenso oft riss ich ihn wieder hoch; ich blieb wach und hörte die Uhr draußen drei schlagen. Das leise Blättern im Nebenraum schien niemals aufzuhören.
    Eine unglaublich lange Zeit später begann die Uhr wieder zu schlagen; ich nutzte die Töne um aufzustehen. Meine Beine waren schrecklich steif, ich musste schnell an die Wand über Julia greifen, um mich abzustützen. Dann streckte ich sehr langsam und leise jeden Muskel – Arme, Beine, Rücken, Nacken – und zählte die Schläge mit; es war vier Uhr. Ich trat vor die Tür und blickte durch einen Spalt. Jake war eingeschlafen, sein Kopf lag auf der Brust, er schnarchte leise. Carmody saß noch immer auf dem Tisch, sein Oberkörper aber lag der Länge nach zur Seite gedreht über der Schublade: der obersten Schublade des zweiten Aktenschranks, wie ich sah. Er schlief ruhig. Ich musste genau hinschauen, um die sanfte Bewegung seines Rückens wahrzunehmen. Ich bin überzeugt, dass die meisten Menschen manchmal versucht sind – zumindest regt sich in ihnen der Impuls –, etwas ganz und gar Undenkbares zu tun: in einer Kirche zu pfeifen, in bestimmten Situationen etwas völlig Unangebrachtes zu sagen. So wie ich in diesem Moment auf den Gedanken kam, so laut wie nur möglich ›Buh‹ zu rufen und dann die wilde Verwirrung im angrenzenden Raum zu beobachten. Ich lächelte, setzte mich neben Julia und spürte, warum weiß ich nicht, dass sie wach war.
    Ich ließ mich neben ihr nieder und legte meinen Mund an ihr Ohr. Um näher an

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