Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)
kühlen.«
»Überall?«
»Nein, nein, nur in Häusern. Ich habe eine im Schlafzimmer – das Ding im Fenster, falls du es bemerkt haben solltest. In den Hitzeperioden kühlt es die Luft bis auf zwanzig Grad herab.«
»Welch ein Luxus!«
»Ja, eine angenehme Einrichtung. Und es gibt sie in den meisten Büros, Restaurants, in Kinos und Hotels.«
»Was sind Kinos? Du hast sie schon einmal erwähnt.«
Ich erklärte ihr die Ähnlichkeit mit Fernsehgeräten, nur viel größer, klarer und – hin und wieder – auch viel besser. Dann sprach ich über elektrische Heizdecken, Supermärkte, Radar, Flugreisen, Waschmaschinen, Geschirrspüler und sogar, Herr vergib mir, über Autobahnen.
Julia trank ihren Kaffee aus, nahm meine leere Tasse und Untertasse und trug sie in die Küche. »Aber was ist alles in der Zwischenzeit in der Welt geschehen, Si?«, fragte sie, als sie ins Wohnzimmer zurückkehrte. »Erzähl mir alles.« Als ich über die Ereignisse nachdachte, begann sie im Zimmer umherzugehen, fingerte an den Vorhängen herum, besah sich die Rückseite des Fernsehapparats und schaltete ein paarmal die über dem Gerät angebrachte Lichtleiste an und aus. Die Antwort fiel mir nicht leicht. Es erinnerte mich an Briefeschreiben; man kann mehrere Seiten mit der Beschreibung eines Wochenendes füllen, versucht man aber, einem alten Freund die Ereignisse der letzten fünf Jahre zusammenzufassen, ist das gar nicht so einfach. Was war also alles passiert?
»Nun, es gibt nun fünfzig Staaten.«
»Fünfzig?«
»Ja.« So selbstgefällig, als hätte ich sie geschaffen, sagte ich: »Alle Gebiete sind nun Staaten. Auch Alaska und Hawaii. Und die Flagge wurde geändert; sie hat jetzt fünfzig Sterne.«
Interessiert nickte Julia; sie wühlte im Zeitschriftenständer neben dem Diwan und zog eine Zeitung heraus.
»Und, lass sehen. Nun, es gab ein Erdbeben in San Francisco … 1906, glaube ich. Der größte Teil der Stadt wurde dabei durch Feuer zerstört.«
»Oh, das tut mir leid; es soll eine schöne Stadt sein, habe ich gehört.« Sie zeigte auf die Zeitung. »Ihr könnt Fotografien drucken, sehe ich.« Sie legte die Zeitung weg und trat zum Bücherregal.
»Ja, auch in Farbe. Irgendwo muss ein altes Life -Magazin mit Farbfotos herumliegen. Und – mein Gott, wie konnte ich es vergessen! Wir schießen Raketen in den Weltraum! Sie befördern Kapseln mit Menschen. Einige von ihnen sind zum Mond geflogen und sind dort gelandet. Mit Menschen an Bord. Und wieder zur Erde zurückgekehrt.«
»Meinst du das ernst? Zum Mond? Mit Menschen?«
»Ja, wirklich.« Wieder hörte ich mich mit diesem lächerlichen Tonfall in der Stimme, als hätte ich etwas damit zu tun.
Es schien sie zu freuen. »Sie waren wirklich auf dem Mond?«
»Ja. Sie sind dort herumgelaufen.«
»Das ist faszinierend!«
Ich zögerte, dann sagte ich: »Ja, wahrscheinlich. Aber es ist bei Weitem nicht so faszinierend wie damals, als ich ein Kind war und Science Fiction gelesen habe.« Sie sah mich verwirrt an. »Es ist schwierig zu erklären, Julia, aber … das alles bedeutet nichts. Trotz aller Aufregung, die die Reise verursachte – es wurde alles im Fernsehen übertragen, wenn du dir das vorstellen kannst, Julia; wir konnten die Männer auf dem Mond wirklich sehen und hören – habe ich das meiste schon wieder vergessen. Ich habe später nicht mehr sehr oft daran gedacht. Von den Männern war es unglaublich mutig, und dennoch … irgendwie fehlte dem ganzen Projekt die Würde. Denn es verfolgte keinen richtigen Zweck, es hatte keinen tieferen Sinn.« Ich hielt inne, denn sie hörte mir nicht mehr zu.
Während ich sprach, hatte Julia die Buchtitel betrachtet, schließlich einen Roman herausgenommen und ihn durchgeblättert. Plötzlich drehte sie sich zu mir um, ihr Gesicht und Hals waren bis hinunter zum weißen Kragen der Bluse scharlachrot. »Si. So etwas«, erschrocken schaute sie auf das aufgeschlagene Buch in ihren Händen, »wird wirklich gedruckt?« Sie klappte das Buch zu, als könnten die Worte aus der Seite herausspringen. »Das hätte ich niemals gedacht!« Sie konnte mich nicht anschauen.
Ich konnte nichts dazu sagen. Wie sollte ich die Veränderung des Denkens beschreiben, die in fast hundert Jahren vor sich gegangen war? Ich lächelte; der Roman, den sie in Händen hielt, war recht harmlos. Ich hatte andere dort stehen, über die sie wahrscheinlich in Ohnmacht gefallen wäre.
Verwirrt und aufgewühlt griff Julia in das Regal und zog
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