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Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Titel: Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Finney
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deine Entscheidung.«
    Ich musste ihr recht geben und nickte. »Kannst du es allein schaffen?«
    »Ich glaube schon. Ich konnte nicht hierherkommen, in eine Zukunft, die außerhalb meines Vorstellungsvermögens lag; du musstest mich mitnehmen. Aber ich kann mir meine eigene Zeit vorstellen, ich spüre sie und kenne sie – viel besser als du.«
    Und nun fiel es mir wieder ein; ich hatte es fast vergessen, so weit weg schien es hier, an diesem Ort und in dieser Zeit. »Aber Carmody! Du kannst nicht zurück, Julia! Carmody wird …«
    »Nein, wird er nicht.« Sie schüttelte den Kopf. »Erinnerst du dich daran, was ich tat, als uns Inspektor Byrnes abholte? Du warst im Salon und hast gelesen, und ich …«
    »Du warst oben.«
    »Ja, in Jakes Zimmer. Ich habe seine Kleidung zusammengelegt und in die Kommode eingeräumt. Als ich dich rufen hörte, packte ich gerade seine Stiefel weg. Und heute Nachmittag, warum weiß ich nicht, fielen mir diese Stiefel wieder ein. Ich hielt sie in der Hand, als es an der Tür klingelte, und, Si – mein Blick fiel auf die Absätze. Die Nägel bildeten ein Muster, einen neunzackigen Stern in einem Kreis. Jake hat den Brand überlebt, nicht Carmody. Das war Jake, der in Carmodys Haus in den Verbänden steckte. Und voller Hass war.«
    Ich ahnte, dass sie recht hatte, und versuchte mir vorzustellen, wie alles abgelaufen war. »Mein Gott, Julia. Irgendwie schaffte er es, dem Feuer zu entkommen. Er hatte schwere Brandverletzungen und trotzdem entwarf er bereits einen neuen Plan. Ich bin mir sicher, er ging direkt zum Haus der Carmodys, traf dort Carmodys Witwe, und – das ist wirklich unglaublich! – sie trafen ein Abkommen! Ohne Carmody würde sie ihr Vermögen verlieren, also wurde er zu Carmody. Als wir sie auf dem Wohltätigkeitsball sahen, hatte sie sich bereits, kurz nach dem Tod ihres Ehemanns, in ihre neue Rolle eingefunden. Es gibt wohl kaum jemanden, der mehr auf Geld und Ansehen versessen ist; sie passen gut zusammen, die beiden!«
    »Worüber lächelst du?«
    »Tue ich das? Es war keine Absicht. Es ist auch nicht einfach zu erklären, aber … ich lächle, weil Jake ein solcher Schurke ist! Es ist das erste Mal, dass ich dieses Wort überhaupt gebrauche, aber das ist er, ein Schurke. In allem, was er tut. Er ist ein perfekter Vertreter seiner Zeit, und ich glaube, ich lächele darüber, weil ich ihn trotz allem mag. Der gute alte Jake, als Carmody verkleidet – nun hat er es doch noch in die Wall Street geschafft. Ich hoffe, er kauft den Markt auf, was immer das auch bedeuten mag.«
    »Ja«, sagte Julia, »er ist wirklich ein Schurke. Ich hoffe, er findet sein Glück, obwohl ich mir sicher bin, dass ihm das nicht gelingen wird.« Sie wusste natürlich nicht, was ich damit meinte. Für sie hatte das Wort Schurke nichts Altertümliches oder Komödiantisches; Jake war für sie ein Schurke, das war alles. »Er kann mir nun nichts mehr anhaben«, sagte sie. »Ich weiß, wer er ist, und da er das weiß, bin ich vor ihm sicher. Und du auch … wenn du kommst.« Abrupt stand sie auf, ging schnell in das Schlafzimmer und zog sich um.
    In einem Taxi fuhr ich mit Julia Downtown. Es war nun dunkel; sie war ein wenig vom Fenster abgerückt, und niemand außer dem Fahrer konnte einen Blick auf ihre Kleidung werfen. Einen halben Block vor unserem Ziel, in gehöriger Entfernung von der nächsten Straßenlaterne, stiegen wir aus. Ich bezahlte das Taxi, dann gingen Julia und ich zu dem riesigen Granitblock, der die Basis des Manhattan-Turms der Brooklyn Bridge bildete. Im Schatten nahm ich Julias Hand und sah sie an. In ihrem langen Kleid, dem Mantel und dem Hut, mit dem Muff am Handgelenk, sah sie genauso aus, wie sie auszusehen hatte. »Ich möchte zu dir kommen«, sagte ich. »Ich möchte mein Leben mit dir verbringen, aber …«
    »Ich weiß, ich weiß.«
    Und so standen wir da, und sagten immer wieder dasselbe, und wollten uns nicht trennen. Ich nahm Julia in die Arme und hätte sie am liebsten nicht mehr losgelassen. Ich küsste sie, wir sahen uns noch einmal in die Augen und hätten uns gerne noch vieles gesagt. Aber wir sahen uns nur an und lächelten traurig. Julia legte mir sanft die Hand auf die Wange, dann schüttelte sie schnell den Kopf; sie wollte sich nicht verabschieden.
    Wir gingen noch ein paar Schritte zusammen, Hand in Hand. Dann blickten wir zurück und sahen die Granitmauer des Brückenturms wie einen riesigen steinernen Vorhang vor uns, der die Welt hinter sich

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