Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Titel: Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Finney
Vom Netzwerk:
Lehrer die Betonung, der andere sprach sie ihm nach und wiederholte sie einige Male, bevor er fortfuhr. »Ist das Französisch?«
    Aus Rubes Lächeln ersah ich, dass er auf die Frage gewartet hatte. »Ja. Aber mittelalterliches Französisch; seit vierhundert Jahren redet niemand mehr so.« Er drückte den anderen Knopf, der Lautsprecher verstummte, und wir gingen weiter. Beim nächsten Fenster drückte Rube sofort auf den Sprechknopf, ich hörte ein ersticktes Grunzen und das Schlagen von Holz auf Holz, dann war ich auch schon neben ihm und blickte in den Raum.
    Er war vollkommen leer, die Wände waren mit schwerem Segeltuch behangen; in der Mitte kämpften zwei Männer mit Gewehren, deren Läufe mit Bajonetten bestückt waren. Der eine trug den flachen Helm, das Khakihemd mit hohem Kragen und die Wickelgamaschen der amerikanischen Uniformen des Ersten Weltkriegs; der andere schwarze Stiefel, eine graue Uniform und den tief nach unten gezogenen Helm der Deutschen. Die Bajonette schimmerten in falschem Silber, dann sah ich, dass sie aus bemaltem Gummi bestanden. Die Gesichter der Männer glänzten vor Schweiß, der sich auch unter den Achseln und am Rücken dunkel abzeichnete. Sie parierten und attackierten und grunzten, während die Gewehre aufeinanderschlugen. Plötzlich trat der Deutsche zurück, täuschte eine Finte an, wich einem Gegenangriff aus und trieb sein Gewehr direkt in den Magen des anderen; das Gummibajonett bog sich gegen die Khakiuniform. »Du bist tot, du amerikanisches Schwein!«, rief er, und der andere schrie: »Zum Teufel, das ist nur eine kleine Bauchverletzung!« Die beiden fingen an zu lachen und knufften sich gegenseitig in die Seite. Rube starrte sie an und murmelte: »Falsch, falsch, die Bastarde! Eine absolut falsche Einstellung!« Ich blickte ihn an. Er wirkte auf einmal böse und gefährlich, seine Augen hatten sich zu Schlitzen verengt, die Lippen waren fest aufeinandergepresst. Schweigend starrte er noch einen Moment auf die Szene, dann drückte er hart mit dem Daumen auf den Knopf und ging weiter.
    Im nächsten Raum befand sich rund ein Dutzend Männer. Die meisten von ihnen trugen weiße Overalls, einige Jeans und Arbeitshemden. Neben dem Tisch stand ein Mann in khakifarbenen Hosen und einem ebensolchen Hemd und deutete mit einem kleinen Zeigestock auf ein Pappmodell, das die gesamte Tischplatte einnahm. Es war das Modell eines Raums, dem eine Wand, ähnlich wie bei einer Theaterbühne, fehlte, und der Mann zeigte auf die Miniaturdecke. Rube drückte den Knopf neben dem Fenster »… gemalte Träger. Aber nur an den höchsten Punkten der Decke, wo es dunkel ist.« Der Zeigestock wies auf eine Wand. »Hier unten beginnen die wirklichen Eichenträger und wirklicher Stuck. Vermischt mit Stroh. Vergessen Sie das nie, verdammt noch mal.« Rube betätigte den Knopf zum Ausstellen, und wir setzten uns wieder in Bewegung.
    Im nächsten Raum befanden sich keine Menschen, sondern eine riesige Luftaufnahme einer Stadt, die sich über drei Wände, vom Boden bis zur Decke, erstreckte. Mit einem schwarzer Marker war sie beschriftet worden: Winfield, Vermont. Momentaner Stand der Restaurierung Foto 9 aus 11, Serie 14. Ich sah Rube fragend an, was er sicherlich bemerkte, doch er wollte wohl nicht darauf reagieren. Er blickte einfach auf die große Fotografie, und da wollte ich eben auch keine Fragen stellen.
    Die nächsten beiden Räume waren leer. Im Darauffolgenden standen die Stühle an der Wand, und ein attraktives Mädchen tanzte Charleston zu einer Musik aus einem tragbaren Fonografen, der auf dem Tisch stand. Eine Frau mittleren Alters betrachtete ihre Bewegungen kritisch und wippte mit dem Zeigefinger im Takt. Der schwingende Saum des olivfarbenen Kleides hob sich über die hüpfenden Knie des Mädchens bis fast zur Taille. Sein Haar war nach einer Mode geschnitten, die früher Shingle Bob genannt wurde, und es kaute Kaugummi. Die andere Frau war ähnlich gekleidet, ihr Kleid allerdings war länger.
    Rube drückte auf den Lautsprecherknopf; wir hörten die schnellen rhythmischen Schleifschritte des Mädchens und die dünne, geisterhafte Musik eines längst vergessenen Orchesters. Die Musik hörte plötzlich auf, das Mädchen atmete laut und lächelte der älteren Frau zu, die zustimmend nickte und sagte: »Gut! Das war ausgezeichnet!« Nach dieser hübschen Schlussbemerkung drückte Rube den Knopf und versuchte, ein Lächeln zu verbergen. Wir gingen weiter, keiner von uns sprach ein

Weitere Kostenlose Bücher