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Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Titel: Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Finney
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einem riesigen Netz von Metallgitterwegen, die über einem straßenblockgroßen, fünfstöckigen Raum in der Luft hingen; die Wege kreuzten sich, liefen zusammen, trennten sich wieder und verschwanden dann in der Ferne.
    Dieses große, gefährlich schwankende Netz von engen Metallstegen hing von der Decke – es war die Unterseite der Büroetage, die wir gerade verlassen hatten – an fingerdicken Metallseilen herab. Wir standen da, und Rube gab mir Zeit mich mit dem Gedanken abzufinden, auf das Netz hinaustreten zu müssen. Ich konnte noch immer nicht erkennen, was sich unter uns befand, mit Ausnahme der dicken Wände, die vom Boden des Lagerhauses fünf Stockwerke hoch bis etwa dreißig Zentimeter unter den Laufstegen zu uns heraufragten. Diese Wände, so viel war zu erkennen, teilten den gewaltigen Raum in unregelmäßig große Bereiche. Ich schaute nach oben und erblickte Entlüftungsanlagen und leise summende Apparate, die unter der Decke zu schweben schienen; dann sah ich Rube an. Er lächelte über meinen Gesichtsausdruck. »Ich weiß, es ist ein Schock«, sagte er. »Nehmen Sie sich Zeit, schauen Sie sich in aller Ruhe um. Und wenn Sie so weit sind, gehen Sie einfach los.«
    Ich zwang mich also zu gehen, schaffte etwa drei Meter und konnte kaum dem Drang widerstehen, mich an das Stahlseil zu klammern; noch immer war ich unfähig, nach unten zu schauen. Einige Meter weit führte der Steg von der Tür geradeaus, dann bog er nach rechts ab; ich bemerkte, dass wir eine Wand überquerten, die von dem tief unter uns liegenden Boden bis fast an den Laufsteg heranreichte. Als wir diese Wand überschritten, spürte ich einen warmen Lufthauch; über mir hörte ich das gedämpfte Geräusch der Lüftung. Etwas unterhalb der Laufstege hing über den Mauern eine große Anzahl von Metallröhren; Hunderte von Theaterscheinwerfern waren an ihnen befestigt. Sie schienen von jeder Größe, jeder Farbe und Tönung zu sein; sie waren zu Gruppen zusammengefasst, um bestimmte Gebiete unter ihnen zu beleuchten. Ich blieb stehen, drehte mich zur Seite, ergriff mit beiden Händen die Seilreling und zwang mich dazu, nach unten zu schauen.
    Fünf Stockwerke tiefer, auf der anderen Seite des Areals, über dem wir standen, erblickte ich ein kleines Holzhaus. Von unserem Standort aus konnte ich die Veranda sehen. Ein Mann in Hemdsärmeln saß auf den Stufen der überdachten Veranda, rauchte eine Pfeife und starrte geistesabwesend auf die gepflasterte Straße vor seinem Haus.
    Zu beiden Seiten dieses Hauses erhoben sich die Mauern zweier weiterer Häuser. Die Seitenwände, die dem Haus in der Mitte gegenüberlagen, waren vollständig vorhanden, inklusive Vorhänge und Fensterläden; ebenso die Hälfte der Giebeldächer und die gesamten Vorderfronten mit Veranden und ausgetretenen Stufen. Auf einer der beiden stand ein geflochtener Kinderwagen. Aber anders als das Haus in der Mitte bestanden diese beiden anderen nur aus Fassaden; von unserem Laufsteg aus waren die Holzgerüste zu erkennen, die die Wände hinten abstützten. Vor allen drei Gebäuden gab es Rasen und Schatten spendende Bäume, dahinter einen gepflasterten Gehweg und dann die Straße mit Pfosten am Bordstein. Auf der gegenüberliegenden Seite der Straße befanden sich die Vorderfronten von einem halben Dutzend anderer Häuser. Auf einer Veranda lag ein arg mitgenommenes Fahrrad. Eine ausgefranste Hängematte war auf einer anderen aufgespannt. Aber diese Häuser waren lediglich Kulissen, die kaum dreißig Zentimeter dick waren; sie waren nur an die Mauern des Areals angebaut.
    Rube, der sich gegen die Reling gelehnt hatte, sagte: »Von dem Ort, wo der Mann auf der Veranda sitzt, und von jedem Fenster seines Hauses oder von seinem Rasen aus hat er den Eindruck, als befinde er sich in einer normalen Straße mit kleinen Häusern. Man kann es von hier aus nicht sehen, aber am Ende der kurzen Straße, die er jetzt betrachtet, ist – wie auf einem plastisch wirkenden Schaubild, einem Diorama – auf die Mauer die Fortsetzung der Straße gemalt und modelliert.«
    Während er sprach, erschien auf der Straße unter uns ein Junge auf einem Fahrrad. Ich hatte nicht gesehen, woher er kam. Er trug eine weiße Seemannsmütze, deren Schirm vollständig mit Reklamebuttons verziert war, braune Hosen, die unter den Knien mit Schnallen zusammengehalten wurden, lange schwarze Strümpfe und schmutzige Segeltuchschuhe, die bis über die Knöchel reichten. An einem breiten Riemen hing eine

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