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Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Titel: Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Finney
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eingerissene Leinentasche über seiner Schulter, die mit zusammengefalteten Zeitungen gefüllt war. Der Junge radelte von der einen auf die andere Straßenseite hinüber; er lenkte nur mit einer Hand und warf geschickt die Zeitungen auf die Veranden. Als er sich dem Haus näherte, das keine Kulisse war, erhob sich der Mann von den Stufen, der Junge warf ihm die Zeitung zu, der Mann fing sie auf, setzte sich wieder und schlug das Blatt auf. Der Junge warf eine Zeitung zu dem »falschen« Haus hinüber, das an der Ecke stand. Dann bog er um die Kurve und – nun außer Sichtweite des Mannes auf der Veranda – stieg von seinem Fahrrad; er schob es zu einer Tür in der Mauer, an der die kleine Kreuzung abrupt endete, öffnete sie und schob sein Rad hindurch.
    Was sich auf der anderen Seite der Mauer befand, konnte ich nicht sehen, aber unmittelbar darauf erschien ein Mann, der die Tür hinter sich schloss. Dann ging er auf die Straßenecke zu und setzte einen flachen Strohhut mit schwarzem Band auf. Es schien sehr warm zu sein, denn er hatte die obersten Knöpfe seines weißen Hemdes geöffnet, den Krawattenknoten gelockert und seine Anzugjacke über den Arm gehängt. Fünf Stockwerke über ihm beobachteten Rube und ich, wie er kurz stehen blieb, seinen Hut nach hinten schob, die Jacke über die Schulter warf und ein zerknülltes Taschentuch aus der hinteren Tasche zog. Er wischte sich über die Stirn, setzte sich müde wieder in Bewegung und bog um die Ecke; langsam schlenderte er den Gehweg entlang, vorbei an dem Mann auf der Veranda, der seine Zeitung las.
    »Hören Sie nur«, sagte Rube und formte mit der Hand einen kleinen Trichter an seinem Ohr; ich tat dasselbe. Von weit unten, aber ganz klar, hörten wir den Mann auf dem Gehweg sprechen. »Abend, Mr. McNaughton. Ist es Ihnen denn jetzt warm genug?« Der Mann auf der Veranda blickte von der Zeitung auf. »Oh, hallo, Mr. Drexsler. Ja, das ist ja wirklich ein glühendheißer Tag. In der Zeitung steht, morgen soll es genauso werden.« Der Mann auf dem Gehweg, ein erhitzter Arbeiter auf dem Nachhauseweg, schüttelte bedächtig den Kopf. »Aber irgendwann muss es ja mal kühler werden«, sagte er, und der Mann auf der Veranda nickte lächelnd und sagte dann: »Vielleicht an Weihnachten.«
    Der Mann auf dem Gehweg wandte sich ab, überquerte die Straße, stieg die Stufen zu einer der falschen Hausfassaden hoch und öffnete die Tür. »Edna«, rief er. »Ich bin zurück.« Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss, und wir sahen, wie er eine kurze Leiter hinabkletterte, sich unter dem Gerüst wegduckte und eine Tür in der Mauer öffnete. Er schritt hindurch; leise schloss sie sich hinter ihm.
    Jetzt öffnete sich in der falschen Hausfront daneben eine Tür. Eine Frau trat auf die Veranda hinaus, hob die Zeitung auf, faltete sie auseinander und warf einen kurzen Blick auf die Titelseite. Die Frau trug ein ungewöhnlich langes, blau kariertes Hauskleid, das fast bis zum Boden reichte. Beim Öffnen ihrer Tür hatte der Mann auf der Veranda gegenüber kurz aufgeblickt, dann hatte er sich wieder in seine Zeitung versenkt. Während er mit weit ausholender Geste die Innenseiten aufschlug, trug die Frau auf der anderen Straßenseite die Zeitung in das Innere ihres vorgetäuschten Gebäudes. Vor der Gardine des Fensters neben der Eingangstür befand sich eine rechteckige blaue Karte, die in Blockschrift geschrieben war. Ich lehnte mich ein wenig vor, um sie besser lesen zu können. »EIS steht darauf«, sagte Rube. »Jede Kartenseite ist mit einer Zahl versehen: mit 25, 50, 75 oder 100. Man stellt die Karte so ins Fenster, dass die Anzahl der Pfund Eis, die man vom Eismann, der die Straße entlangkommt, haben möchte, oben steht.«
    Ich schaute Rube an; er aber, lässig auf dem Seil lehnend, die Hände leicht gefaltet, betrachtete noch immer die Szene unter uns. Und so sagte ich schließlich: »Ich sehe zwar keine Kamera, aber ich nehme an, dass sie dort unten eine Art Film drehen.« Ich konnte nicht verhindern, dass ich etwas gereizt klang.
    »Nein«, sagte Rube. »Der Mann da unten lebt wirklich in diesem Haus. Es ist vollständig eingerichtet, und regelmäßig kommt eine Frau zu ihm, die es in Ordnung hält und für ihn kocht. Die notwendigen Lebensmittel werden jeden Tag von einem leichten Pferdewagen mit der Aufschrift Henry Dortmund, Fancy Groceries geliefert. Zweimal täglich trägt ein Postbote in grauer Uniform die Post aus, meistens ist es nur Reklame. Der Mann wartet

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