Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)
nicht. Dann lehnte er sich zurück und zwang sich dazu, sich zu entspannen. Seine Aversion gegen die selbst auferlegte Pflicht, hier zu sein, schadete nur.
Der Mann hinter dem Schreibtisch versuchte etwas von Hand Geschriebenes auf dem seitlichen Rand eines Papiers zu entziffern. »Meine Sekretärin hat notiert, dass Sie es vorziehen, Ihren Namen nicht zu nennen.«
»Wir werden sehen. Sagen Sie mir zuerst: Sind Sie ein richtiger Arzt?«
»Ich bin kein Doktor der Medizin. Ich habe in Psychologie promoviert.«
»Ich bin immer davon ausgegangen, dass das, was man einem Arzt erzählt, vertraulich ist. Trifft das auch bei Ihnen zu?«
»Selbstverständlich.«
Der Mann dachte darüber nach, nickte, lächelte dann überraschend so warm und offen, dass sich der Arzt davon berührt fühlte und der Wunsch in ihm aufkam, ihm zu helfen; dennoch war er sich sehr wohl bewusst, dass der Patient dabei war, die Führung des Gesprächs zu übernehmen. »Wir können später meinen Namen hinzufügen, wenn dies nötig sein sollte«, sagte der Patient. »Sie müssen wissen, ich bin Offizier in der Army.«
»Das dachte ich mir.«
»Ach ja?«, sagte er leicht aggressiv.
»Ich will mich nicht als Sherlock Holmes hinstellen, aber Ihre Hosenbeine haben keine Aufschläge. Eine einfarbige, dezente Krawatte. Weißes Hemd. Und Sie haben Ihr Jackett nicht aufgeknöpft. Sie machen einen sehr disziplinierten Eindruck, der mir sagt, dass Sie der Army angehören. Wenn Ihr Anzug khaki statt blau wäre, würde ich salutieren.«
»Nun, Sie sind sehr gut. Ein mir gut bekannter Offizier behauptet, mein Pyjama hätte Epauletten. Ich mag die Army. Der einzige Grund, warum ich nicht Uniform trage, ist die Arbeit, der ich momentan nachgehe. Und der einzige Grund, warum ich hier bin und nicht bei einem Seelenklempner der Army – Entschuldigung.«
»Macht nichts. Ich benutze das Wort auch.«
»Ich will nicht, dass in meiner Personalakte auftaucht, dass ich zu einem, äh …«
»Psychologen: Ich bin kein Psychiater. Und das hier wird nicht in Personalakten der Army auftauchen, nur in meinen eigenen. Also fangen Sie an. Sie müssen etwas erzählen, Sie müssen den Anfang machen.«
»Ich weiß. Gut. Vor zehn Tagen war ich gerade bei der Arbeit – ich bin Historiker, Major der Infanterie, der momentan zum Zentrum für Militärgeschichte abgestellt ist. Ich habe mich auf den Ersten Weltkrieg spezialisiert. Momentan arbeite ich in der Hauptabteilung der New Yorker Public Library an der 42nd und 5th, und da passierte Folgendes:
Ich hatte einen Bücherstapel vor mir liegen und machte mir Notizen. Ich kopierte Namen, deutsche Namen und militärische Ränge, langsam und sorgfältig, um die Schreibweise der Krauts richtig hinzukriegen. Und plötzlich, aus dem Nichts heraus, spürte ich« – er zögerte – »nun, Wut. Und ich meine, richtige Wut; absolut unerklärlich. Sie überkam mich einfach. Plötzlich. So unerwartet, wie bei jemandem, der auf einen zutritt und ins Gesicht schlägt. Und ich sagte – richtig laut; Sie müssen wissen, ich saß da an einem dieser langen Tische, und alle drehten sich zu mir um. Ich sagte, ›verdammt noch mal, ja verdammt noch mal, du Mistkerl. ‹ Ich rang mit mir, warf den Stuhl um und sprang auf.
Dann kam ich mehr oder weniger wieder zu mir. Ich stand da, jeder starrte mich an; ich muss ziemlich laut gewesen sein. Nun, ich ging schnell hinaus und stand draußen auf den Stufen zur 5th Avenue, wo ich mich endlich beruhigte. Es ist nur, ich weiß nicht, warum ich das gesagt habe. Ich weiß es einfach nicht. Nach einer Weile ging ich wieder hinein, starrte jeden an, bis er wegguckte, und nahm meine Arbeit wieder auf.« Er hielt inne und wartete.
»Fahren Sie fort.«
»Nun, am nächsten Tag passierte nichts. Es folgte das Wochenende; es muss ein Montag gewesen sein, als ich meine Arbeit wieder aufnahm. Wieder im Hauptlesesaal. Ich bin dort, wenn sie aufmachen, jeden Wochentag und Samstag. Und ich bleibe, bis sie mich hinauswerfen. Ich war draußen vor dem Eingang und trank einen Kaffee. Dort gibt es Leute, die Kaffee und solche Sachen verkaufen.«
»Ich weiß.«
»Miserabler Kaffee. Aber besser als nichts. Ich gönne mir immer eine zehnminütige Pause, auf die Minute genau, am Morgen und am Nachmittag. Und das Mittagessen so schnell wie möglich. Ich trinke den lausigen Kaffee, weil ich nicht rauche. Ich habe einmal geraucht, aber aufgehört. Es ist …«
»Kommen Sie zum Punkt.«
»Okay. Es passierte wieder.
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