Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)
vor mir das Theater, sah das Schild WALLACK’S und die Plakate, auf denen THE MONEY SPINNERS stand. Ich sah Apple Mary, die alte Frau, die vor den Theatern Äpfel verkauft, und versuchte zu sprinten, versuchte verzweifelt, schneller zu gehen, schob, drückte und rempelte erstaunte und verärgerte Passanten an – denn vor der Apple Mary stand der große schlanke Mann in Abendgarderobe. Sie sprach mit ihm, und ich – sah ich es wirklich? Ich glaubte es – ich sah das Aufblitzen von Gold, als er ihr eine Münze überreichte. Ein paar Meter, und zwei oder drei Fußgänger befanden sich zwischen uns. Er wandte sich um, jemand vor ihm blieb stehen und hielt ihm die Foyertür auf, dann schlüpfte er hinein.
Ich ging nun, nur noch ein paar Meter, ging an Apple Mary vorbei, die ›Äpfel, Äpfel! Kauft eure Äpfel, Marys beste Äpfel‹ rief und mir einen hinhielt. Ich schüttelte den Kopf und starrte auf die dicht gedrängte Menge im Foyer und erblickte die Gruppe, von der ich wusste, dass sie da sein musste: der bärtige Vater mit rubinrotem Kragenknopf in seinem weißen Hemd, die freundlich lächelnde Mutter, und ihre Töchter; die jüngere in einem wunderschönen schlichten Samtkleid in einem satten hellen Frühlingsgrün. Wenn sie lächelte, wie sie es jetzt wegen des jungen Mannes tat, der Apple Mary die Goldmünze gegeben hatte, dann sah sie reizend aus. Ich musste hören, was sie sprachen, musste es einfach; ich trat ein und stellte mich in ihre Nähe. Meine blutverschmierten Hände verbarg ich so gut es ging.
»Meine Liebe, darf ich dir meinen jungen Freund vorstellen«, sagte ihr Vater. »Mr. Otto Danziger.« Ich sah, wie sich der junge schlanke Mann verbeugte, und wusste, dass es passiert war; dass es zu spät war. Nun waren sich diese beiden jungen Leute begegnet. Ich hatte es nicht verhindern können. Und nun würden sie in kurzer Zeit heiraten und einen Sohn bekommen. Und ich wusste, dass weit in der Zukunft, im zwanzigsten Jahrhundert, das ich verlassen hatte, dieser dann erwachsene Sohn, Dr. E. E. Danziger – das Projekt starten würde, in dem alten Beekey-Lagerhaus, das unter der Leitung von Major Rube Prien und Colonel Esterhazy fortgeführt wurde.
Aber das waren Gedanken aus einer weit entfernten Zukunft, in die ich nicht mehr gehörte. Ich sah noch einmal auf das schöne junge Paar und musste unwillkürlich lächeln. Dann drehte ich mich um und verließ das Theater.
Der große Mann heftete sich wieder an Morleys Fersen, als dieser zur 30th Street zurückging und sich dann nach Osten wandte. Er beobachtete ihn genau; an den langsamen Bewegungen, die von Morleys Verletzungen herrührten, erkannte er, dass dieser es nicht mehr so eilig hatte. Nun wusste er, dass es vorüber war; was immer Morley versucht hatte zu verhindern, war zunichte gemacht worden. Einen langen Häuserblock folgte er Morley und dann noch den nächsten halben Block, um ganz sicher sein zu können. Dann – er konnte nicht wissen, was passiert war, oder was Morley beabsichtigt hatte, aber er wusste, dass er getan hatte, was er hatte tun wollen. Er hatte es geschafft. An der nächsten Ecke bog der große Mann deshalb ab, während Morley langsam weiterging, und er begann, nach einer Droschke Ausschau zu halten.
Als ich zum Gramercy Park hinabschritt, sah ich mich in der Welt um, in der ich mich nun befand. Ich betrachtete die braunen Sandsteinhäuser, die vom Licht der Gaslaternen beleuchtet wurden, und den nächtlichen Winterhimmel über mir. Auch das war nur eine unvollkommene Welt, aber – ich atmete tief ein, scharf und kalt spürte ich es in meinen Lungen brennen – die Luft war noch rein. Das Wasser der Flüsse war sauber und frisch wie zu Anbeginn der Welt. Und der erste der schrecklichen Kriege war noch Jahrzehnte weit entfernt. Ich erreichte die Lexington Avenue, wandte mich nach Süden – die gelben Lichter des Gramercy Park erwarteten mich am Ende der Straße – und schritt geradewegs auf die Nummer neunzehn zu.
Am Fahrkartenschalter des kleinen Backsteingebäudes der Grand Central Station beugte sich John McNaughton zu den Messingstäben vor, die sich zwischen ihm und dem Fahrkartenverkäufer befanden. »Winfield«, sagte er. »Ein Ticket nach Winfield, Vermont.«
»Hin- und Rückfahrkarte?«
»Nein.« McNaughton lächelte voll Vorfreude über das, was er nun sagen würde: »Nein, ich werde von Winfield nicht mehr zurückkommen. Nie mehr.«
6
Julia betrat das Esszimmer, stellte einen großen
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