Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)
knöchellangen dunklen Mantel und eine braune Pelzkappe. Als er einige Schritte entfernt war, stand er von der Parkbank auf und folgte Simon Morley.
… als ich ihn an der 5th Avenue wieder verließ, ratterte langsam ein leichter Lieferwagen vorbei, das Pferd war müde, es hielt den Kopf gesenkt, unter der Hinterachse baumelte wie üblich eine Petroleumlampe. Auf dem Gehweg kam mir eine Frau mit schwarzem Federhut entgegen, die ein Pelzcape um die Schultern trug; ihr langes dunkles Kleid hielt sie ein wenig an der Seite gerafft, damit es nicht mit den nassen Pflastersteinen in Berührung kam.
Ich wandte mich nach Süden, der schmalen, stillen von Wohnhäusern gesäumten 5th Avenue zu (dasselbe tat jetzt der große Mann, der zwanzig Meter hinter ihm war) , und während ich sie entlangschlenderte, warf ich immer wieder Blicke in die von gelben Lichtern erhellten Fenster: ein kahlköpfiger bärtiger Mann, der die Abendzeitung las, das Licht des offenen Kamins, den ich nicht sah, spiegelte sich rötlich im Fenster; ein Hausmädchen mit weißer Haube und Schürze durchquerte einen Raum; ein nicht mehr ganz frischer Christbaum, dessen Kerzen eine Frau zur Freude ihres fünfjährigen Jungen anzündete.
… Und dann vom Madison Square den Broadway in nördliche Richtung hinauf, das Rialto entlang, an dem sich New Yorks Theater befanden, als der Broadway noch ein Broadway war. Die Straße war voller glänzender, hochpolierter Kutschen, die Gehwege voller Leute, sehr viele davon in Abendkleidung. Die Nacht war erfüllt von ihrer Lebendigkeit; ein Gefühl von Aufregung und Vergnügen hing in der Luft.
Nur wenige Schritte dahinter blickte der große Mann den vorbeischlendernden Leuten ins Gesicht, sah in die Kutschen hinein, blieb manchmal stehen und lächelte still vor Freude, hier zu sein.
… Ich eilte an den erleuchteten Theatern, den Restaurants und den großen Hotels vorbei, bis ich zwischen der 29th und der 30th das Gilsey House erreicht hatte. Dort, am Zigarrenschalter des Foyers, kaufte ich eine Zigarre, ein langes dünnes Exemplar, und brachte es sorgfältig in der Brusttasche meiner Jacke unter. Draußen …
Draußen auf dem abendlichen, von Menschen überfüllten Gehweg schlenderte der große Mann nun sehr langsam zum Gilsey House … bis Simon Morley wieder heraustrat, die Stufen hinunterschritt, seine Zigarre verstaute und seinen Weg fortsetzte. Der lange Mann ging schneller, bis er wieder aufgeschlossen hatte. Dann blieb er dicht hinter ihm; nur ein oder zwei Fußgänger befanden sich zwischen ihnen.
Er wartete auf eine günstige Gelegenheit und sah sie schließlich etwa zwanzig Meter vor sich gekommen. Eine kurze steinerne Treppe mit Messinggeländer führte vom Gehweg hinauf zum Eingang im ersten Stock; Wellmann & Co., Versicherungsmakler lauteten die vergoldeten Buchstaben an den dunklen Fenstern. Direkt neben diesen Stufen führten steilere Stufen zu einem Barbierladen hinab, der im Souterrain lag – die spiralförmig gestreifte Stange, das Zeichen der Barbiere, stand an der Bordsteinkante.
In diesem Moment, einen halben Schritt, den Simon Morley noch vor sich hatte, um diese zweite Treppe zu erreichen, trat der große Mann neben ihn und rammte dann das volle Gewicht seines massigen Körpers gegen Morley. Er warf ihn um und stieß ihn die Treppe hinab. Morley fiel auf die Kanten der Steinstufen und knallte gegen die geschlossene Tür des Friseurladens.
Der große Mann ging mit schnellen Schritten weiter und bog an der 30th Street um die Ecke. Einige Leute schauten dem Mann nach, er blickte zurück, ihnen direkt ins Gesicht; keiner hielt ihn auf.
Eine halbe Minute fast lag Simon Morley bewegungslos am Fuß der Treppe; sein Gehirn arbeitete nicht wie sonst. Dann spürte er plötzlich den Schmerz in den Schienbeinen, in seiner rechten Schulter, der rechten Hüfte und den Innenflächen seiner Hände. Er stöhnte. Vorsichtig versuchte er aufzustehen; er fürchtete, dass er sich etliche Knochen gebrochen hatte. Dann stand er jedoch, und mit beiden Händen stützte er sich an der Mauer neben der Treppe ab. Sein Kopf hing schwer zwischen den Schultern. Im schwachen Licht der Straßenlaternen betrachtete er seine blutig aufgerissenen, dreckverschmierten Hände, dann die zerrissenen Hosenbeine und die blutende, aufgeschürfte Haut, die darunter zum Vorschein kam. Er zog sich unter großen Schmerzen an dem schwarzen Eisengeländer die Stufen hoch. Wieder auf dem Gehweg, humpelte er verzagt davon.
Ich sah
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