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Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Titel: Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Finney
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darauf, dass er für einen der Jobs, für die er sich in der Stadt beworben hat, eine Zusage erhält. Irgendwann wird er erfahren, dass es geklappt hat. Dann wird sich auch sein Tagesablauf ändern. Er wird jeden Morgen zu seiner Arbeitsstelle in der Stadt aufbrechen.« Rube blickte mich an, dann betrachtete er wieder die Szene. »In der Zwischenzeit hält er sich in seinem Haus auf. Sprengt Rasen. Liest. Verbringt den Tag mit Nachbarn. Raucht Lucky-Strike-Zigaretten aus grünen Päckchen. Manchmal hört er auch Radio, obwohl es bei diesem Wetter häufig atmosphärische Störungen gibt. Gelegentlich besuchen ihn Freunde. Jetzt gerade liest er eine Zeitung, die vor noch nicht einer Stunde gedruckt worden ist; das Lokalblatt des 3. September 1926. Er ist müde; es sind dort unten nachmittags fast vierzig Grad und in der Nacht um die dreißig. Eine richtige Sommerhitze, ohne Klimaanlage. Und wenn er nun nach hier oben blickt, dann sieht er einen weiß-blauen Himmel.«
    Ich zwang mich zur Geduld und fragte: »Sie meinen, er folgt einem Drehbuch?«
    »Nein, es gibt kein Drehbuch. Er macht, worauf er Lust hat, und die Leute, die er agieren sieht, handeln und reden gemäß der Situation.«
    »Wollen Sie mir erzählen, dass er wirklich glaubt, in einer Stadt in …«
    »Nein, nein, das nicht. Er weiß natürlich, wo er ist. Er weiß, dass er sich in einem New Yorker Lagerhaus aufhält, inmitten einer Art Bühnendekoration. Er wird es sorgfältig vermeiden, um die Straßenecke zu gucken oder zu gehen, obwohl er natürlich weiß, dass die Straße dort aufhört. Er weiß, dass das lange Straßenstück, das er am gegenüberliegenden Ende sieht, in Wirklichkeit eine perspektivische Malerei ist. Und wenn es ihm auch niemand gesagt hat, so bin ich mir doch sicher, dass er weiß, dass die Häuserfronten ihm gegenüber nur Kulisse sind.« Rube streckte sich und wandte sich von der Reling zu mir um. »Si, alles, was ich Ihnen verraten kann, ist, dass er sich verdammt anstrengt, ein echtes Gefühl dafür zu entwickeln, an einem Spätsommernachmittag auf einer Veranda zu sitzen und zu lesen, was Calvin Coolidge am Morgen des 3. September 1926 gesagt hat.«
    »Gibt es wirklich eine Stadt und eine Straße wie diese?«
    »Ja. Eine Straße mit Häusern, Bäumen und Rasen, die genauso aussieht wie diese hier, bis hin zum kleinsten Grashalm und dem Kinderwagen auf der Veranda. Sie haben die Luftaufnahme gesehen; Winfield, Vermont.« Rube grinste mich an. »Lassen Sie sich nicht verrückt machen«, sagte er gutmütig. »Sie müssen erst alles gesehen haben, um es begreifen zu können.«
    Wir gingen weiter, hoch oben auf dem riesigen Spinnennetz, unter der leise brummenden Maschinerie und an den Hunderten und Aberhunderten von Scheinwerfern vorbei. Wir überquerten das Haus mit dem Mann auf der Veranda; es mutete seltsam an, dass er nur einen Himmel sehen konnte, wenn er jetzt gerade zu uns hochgeblickt hätte. Er sah aber nicht hoch; er las weiter seine Zeitung, bis er langsam aus unserem Blick verschwand. Nach links abbiegend, gingen wir über die nächste Mauer hinweg, und der Ausschnitt war nicht mehr zu sehen.
    Es wurde augenblicklich kälter, feuchter, es roch nach Regen; wir blieben stehen, um hinunterzuschauen. Tief unter uns lag der nächste Ausschnitt, ein Teil einer Prärie, durch die ein kleiner Bach hindurchfloss. Auf der von uns weiter entfernt gelegenen Seite des Geländes stand ein Grüppchen schlanker weißer Birken, Vorboten eines dichten Waldes, der sich über eine Anhöhe hinzog. Der größte Teil des Waldes, so erkannte ich nun sogleich, war an eine Wand gemalt, trotzdem wirkte er sehr real. Beinahe unmittelbar unter uns standen drei Tipis aus Hirschleder, die mit Farbkreisen, Zickzacklinien und Strichzeichnungen von Menschen und Tieren geschmückt waren; sie waren schon etwas ausgeblichen. Dünner Rauch stieg von den Zelten auf. Vor ihnen lag ein junger Hund, der angepflockt war und etwas zwischen den Pfoten hielt, mit dem er sich hingebungsvoll beschäftigte. Während wir auf die Szene hinunterschauten, gingen langsam nacheinander einige der Scheinwerfer, die das Areal beleuchteten, aus – wir konnten ihr leises Klicken hören –, und die dreieckigen Schatten der Zelte, die auf das Gras der Prärie fielen, wurden immer länger. Nun konnten wir in dem Rauch einzelne Glutfunken erkennen.
    »Ich liebe diese Szene«, murmelte Rube. »Montana, etwa sechzig Meilen vom heutigen Billings entfernt. In den Tipis leben acht

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