Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)
war so müde, als hätte ich eine stundenlange Reise hinter mir, die beiden Drinks hatten dieses Gefühl noch verstärkt. Ich schaltete die Klimaanlage ein, erfreut, über eine zu verfügen, und ging ins Bett.
Das Licht war aus, und ich wartete; der Schlaf würde schnell kommen. Ein Polizeiauto oder Krankenwagen heulte irgendwo unten in den Straßen. Ich war wieder hier. War es klug? Ein Wagen fuhr über einen Kanaldeckel, und ich lächelte; in meinem Kopf sang es I’ll take Manhattan, the Bronx and Staten …
8
Rube Prien befand sich in dem fensterlosen kleinen Büro im Erdgeschoss des Projekts; er saß auf der Kante des alten Eichenholzschreibtischs, ließ ein Bein baumeln und sah sich um: ein abgelaufener Wandkalender, auf dem noch immer Beekey’s stand, gerahmte Fotografien von Umzugsmannschaften, die es längst nicht mehr gab. Er war nervös und daher unruhig; er hasste es zu warten. Er stand auf, ging zum Ausgang, öffnete die Tür weit und ging zurück zum Schreibtisch. Setzte sich und sprang sogleich wieder auf, zurück zur Tür, um sie bis auf einen schmalen Spalt wieder zu schließen. Durch diesen Spalt beobachtete er das hereinfallende Tageslicht, öffnete dann die Tür noch einen Zentimeter mehr und kehrte zu seinem Schreibtisch zurück.
Draußen näherte sich Dr. E. E. Danziger dieser Tür auf dem Gehweg mit schnellen Schritten; ein großer, dünner, älterer, aber noch nicht alter Mann in einem dunklen Mantel und einem braunen Filzhut. Es war spät morgens, die Temperatur betrug um die zehn Grad, der Himmel war gleichförmig grau. Er schaute zu den verblichenen schwarz-weißen Lettern hoch – BEEKEY BROTHERS, UMZÜGE UND LAGERHALTUNG – , die sich unterhalb der Dachrinne über das große, fensterlose Ziegelgebäude hinzogen. Es sah aus wie immer: konnte es sein, dass noch immer alles beim Alten war? Dass das Projekt in den letzten drei Jahren auch sehr gut ohne ihn zurechtgekommen war?
Er blieb nun an der Ecke des Gebäudes stehen, betrachtete die verwitterte graue Tür und glaubte zu wissen, warum sie so einladend offen stand. Glaubte zu wissen, dass er damit — wenn er die stillschweigende Einladung annahm, wenn er die Tür ganz aufstieß und eintrat – zugab, noch immer dazuzugehören und noch immer das Recht hatte, hier einzutreten. Aber er wollte Rube Prien dieses Treffen nicht so einfach machen; der Major sollte erst eine Kröte schlucken.
Ohne näher zu treten, streckte er seine Hand aus und stieß die Tür mit seinem großen Zeigefinger weit auf; er blieb stehen, wo er war, sah hinein und erblickte Rube, der schnell vom Schreibtisch aufsprang, dieses wunderbare Rube-Prien-Lächeln lächelte und ihn willkommen heißen wollte. Aber Dr. Danziger machte ihm mit seinem steinernen Gesicht einen Strich durch die Rechnung. »Darf man eintreten?«
Das brachte Rube aus dem Konzept; Danziger sah ihn blinzeln. »Natürlich, natürlich! Kommen Sie herein!«
Danziger trat langsam ein. »Oh nein«, sagte er, »es ist nicht natürlich, dass ich hier einfach so eintrete. Sie haben mich hinausgeworfen, erinnern Sie sich nicht?« Und dann, mit neutraler Stimme: »Wie geht es Ihnen, Rube?«
»Gut, Dr. Danziger. Sie sehen gut aus.« »Nein. Als Sie mich das letzte Mal gesehen haben, war ich alt, und nun bin ich älter.« Er sah sich aufmerksam in dem kleinen Vorzimmer um. »Sieht noch immer wie damals aus. Keine Veränderungen.«
»Oh doch, die gibt es, die gibt es. Dr. Danziger, wollen wir zusammen ein Mittagessen einnehmen? Wäre angenehmer, sich beim Essen zu unterhalten.«
»Nein, ich bin noch nicht bereit, mit Ihnen das Brot zu brechen, Rube; ich muss mir noch immer über meine Gefühle klar werden.«
»Ach ja?« Rube fühlte sich nicht wohl in seiner Haut; er wollte seinen Gast bitten, Platz zu nehmen, sich als Gastgeber erweisen, um seine Befangenheit zu überspielen. Allerdings traute er sich nicht.
»Ja sicher. Ich war verwirrt, als Sie mich anriefen. Und fragte mich, als ich Ihre Stimme hörte, ob ich Sie nicht eigentlich verabscheuen sollte. Ob ich mich nicht einfach weigern sollte, Sie wiederzusehen. Oder ob ich hierherkommen sollte, um meinen Abscheu bestätigt zu finden und ihm neue Nahrung zuzuführen. Und an Rache zu denken.« Er lächelte. »Und dennoch, noch während wir miteinander telefonierten, kam ich zu dem Schluss, dass es vielleicht nicht unbedingt Abscheu war, was ich verspürte, sondern nur ein Gefühl starker Abneigung. Das so beherrschend ist, dass ich nicht einmal
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