Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)
Ihren Anblick ertragen könnte. Oder vielleicht, fragte ich mich, als Sie fortfuhren und ich Ihre Stimme hörte, die so glücklich war, mit mir wieder reden zu können, ob die Zeit, die seitdem vergangen ist, nicht doch eine nie verblassende, aber verheilte Wunde hinterlassen hat. Deren Schmerz verschwunden ist, sodass ich nun wieder – ja was? – Ihren Anblick ertragen kann. Dass ich hierherkommen und Sie voller Widerwillen anblicken kann. Aus Neugier, mit verächtlich geschürzten Lippen.« Rube lächelte weiter höflich und schien von dem Monolog völlig unbeeindruckt zu sein. »Oder vielleicht nichts von alledem. Wenn ich bislang an Rube Prien dachte, so fragte ich mich, tat ich ihn dann innerlich mit einem Achselzucken ab? Mit dem Gefühl: Nun, das war vor einiger Zeit, also was soll’s?«
»Und wofür haben Sie sich entschieden?« Rube wies nun auf einen Holzstuhl. »Setzen Sie sich bitte, Doktor.«
»Nein, ich möchte nach oben und mich umsehen. Ich möchte das Projekt wiedersehen. Deswegen bin ich hierhergekommen. Und deswegen, Rube, habe ich mich für eine Haltung toleranter Neugier entschieden. Ich betrachte Sie mit einem Anflug kühlen Amüsements. Ich amüsiere mich über Ihre Kühnheit. Und frage mich, wie zum Teufel können Sie es wagen, mit mir zu telefonieren. Ganz zu schweigen von der Einladung zum Essen! Also – um ernst zu werden, Rube, und amüsiert über Ihre Kühnheit – was zum Teufel wollen Sie?«
»Ihre Hilfe. Und, wenn möglich … einen Anfang finden, um unsere Freundschaft wieder zu erneuern, die zumindest für mich nach wie vor besteht.«
»Da kann ich nur drüber lachen. Diese Kaltblütigkeit, Diese verdammte Kaltblütigkeit. Also, noch einmal – was wollen Sie?«
Einen Moment lang sah Rube Danziger nur freundlich an. Dann, offensichtlich ganz impulsiv, streckte er ihm die Hand hin. »Um einen Neuanfang zu machen.«
Danziger schüttelte ungläubig den Kopf. Dann – immer noch kopfschüttelnd – begann er zu grinsen. »Ihre Kaltschnäuzigkeit«, sagte er und gab Rube die Hand. »Kommen Sie.« Er wandte sich der Metalltür in der Wand gegenüber des Eingangs zu. »Lassen Sie uns nach oben gehen.« Rube hielt Danziger die Tür auf, der an ihm vorbeiging und sich neugierig in dem kleinen Raum vor den geschlossenen Aufzugstüren umblickte. Rube folgte ihm lächelnd, und Danziger sagte: »Sie treuloser Hund: ich weiß zwar nicht so recht warum, aber es scheint, dass ich noch immer eine Art senilen Gefallen an Ihnen finde. Wer hätte das gedacht.« Er drückte den Aufzugsknopf, die Türen gingen auf.
Im obersten Stockwerk, dem sechsten, gingen die beiden durch den mit Kunststofffliesen ausgelegten Gang, der größere von ihnen blickte sich interessiert nach allen Seiten um. Da er jetzt seinen Hut in der Hand hielt, sah man, dass er eine Glatze hatte, die Kopfhaut mit Sommersprossen übersät und die Haare an den Seiten schwarz gefärbt waren.
Dieser Gang glich den Gängen aller Bürogebäude: Richtungspfeile an den Wänden, darunter Reihen von Büronummern, schwarz-weiße Namensschilder neben den geschlossenen Türen. Danziger deutete auf ein Schild, auf dem K. Veach stand. »Katherine Veach. Katie«, sagte er. »Ein nettes Mädchen«, und er blieb stehen. »Ich sag’ nur mal schnell guten Tag.«
»Befürchte, sie ist heute nicht da, Doktor.«
Einige Schritte weiter blieb Danziger wieder stehen, diesmal vor einer Tür ohne Namen. »Sie führt zu den Laufstegen, glaube ich. Ich würde gerne reingehen, Rube, und die große Halle sehen.«
»Nun …«
Aber Danziger schüttelte stur den Kopf; etwas von der alten Autorität, die er einst besessen hatte, schimmerte durch. »Rube, ich möchte sie sehen. Es dauert nicht lange.«
»Was ich sagen wollte, Dr. Danziger, ich habe meine Schlüssel heute nicht dabei.«
Einen Augenblick lang sah Danziger Rube nachdenklich an; dann gingen sie weiter, bogen um eine Ecke und blieben vor dem Konferenzzimmer stehen. Danziger wollte diese Tür nicht öffnen; doch Rube griff an ihm vorbei und drehte den Knauf und bot ihm mit einer Handbewegung den Vortritt an. Danziger blickte noch einmal den langen Korridor hinauf und hinunter, dann trat er ein. »Rube, wo sind sie denn heute alle?«, fragte er.
»Nun« – Rube folgte ihm und schloss die Tür – »Wochenende, Doktor. Ich nehme an, sie sind zu Hause. Schlafen lange. Lesen die Zeitung. Was weiß ich.« Er trat zu einem Stuhl an dem großen Tisch, auf dem eine Aktentasche lag, und bot
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