Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)
Danziger den Stuhl gegenüber an.
Danziger ging langsam um den Tisch herum, zog seinen Mantel aus und betrachtete die Wände, die Oberlichter und den Teppich. »Wochenenden«, sagte er, »bedeuteten nicht viel, als ich noch hier war, Rube.« Er legte Hut und Mantel auf den Stuhl neben sich und setzte sich; er trug einen blauen Anzug, ein weißes Hemd und eine blau-weiß gestreifte Krawatte. »Ich war jeden Tag hier, sogar an Sonntagen. Und Sie auch. Und Oscar. Die meisten von uns. Denn wir interessierten uns eigentlich nur für diesen Ort.« Er sah Rube an, lehnte sich bequem zurück und streckte den Arm aus – eine Geste, die Rube vertraut war.
»Nun, es ist einige Jahre her, seitdem Sie uns verlassen haben. Und seitdem Si uns verlassen hat.« Rube schob die Aktentasche zur Seite und legte beide Arme vor sich hin. Er faltete die Hände. »Alles geht seinen Gang. Routine. Wir haben uns alle mehr oder weniger daran gewöhnt …« Seine Stimme erstarb, denn Danziger schrieb etwas mit dem Zeigefinger seiner mit Altersflecken bedeckten Hand in den Staub auf der Tischplatte.
Rube musste den Kopf ein wenig schief halten, um lesen zu können, was dort stand; dann sprang ihm das Wort, das Danziger geschrieben hatte – es hob sich deutlich vom Staub ab –, in die Augen: Schwachsinn. Ihre Blicke trafen sich, und der große alte Mann sagte: »Sie werden es mir schließlich doch erzählen müssen, also warum nicht gleich?«
»Okay«, sagte Rube und nickte. »Okay. Ich hatte nicht angenommen, Sie hinters Licht führen zu können, Dr. Danziger, und hatte es auch gar nicht vor. Ich habe es nur gesagt, weil ich wütend war. Ich fühlte mich gedemütigt. Wenn Sie sich an mir rächen wollten, dann ist Ihnen das wahrscheinlich bereits gelungen.« Er schob, einem plötzlichen Impuls gehorchend, den Stuhl zurück und erhob sich. »Sie wollten die große Halle sehen? Gut: Dann werde ich Ihnen die große Halle jetzt zeigen!«
Wieder im Erdgeschoss angekommen, bogen sie in einen engen tunnelartigen Flur ein, dessen Betonboden von Glühbirnen an der Decke beleuchtet wurde, die durch Drahtgehäuse geschützt wurden. An einer Metalltür mit der Aufschrift Eintritt strengstens verboten blieben sie stehen. Rube holte einen Schlüssel hervor, schloss auf, trat ein und hielt mit einem Fuß die Tür auf, während er sich bückte. Danziger, der ihm gefolgt war, wartete neben ihm; vor ihnen war alles dunkel, stockdunkel, ohne das kleinste bisschen Licht. Rube schaltete die große Taschenlampe an, die stets auf dem Boden neben der Tür deponiert war. Er hielt den starken scharfen Lichtstrahl versuchsweise auf den Boden gerichtet und sagte: »Damit müssen wir jetzt die große Halle betrachten. Hoffentlich sehen wir überhaupt etwas.« Im Lichtkegel der Lampe tauchte ein kleines Fachwerkhaus auf, die Seitenwände und das Dach waren mit Holzschindeln bedeckt – ein altes Haus aus den Zwanzigern. »McNaughtons Hau…«, sagte Danziger und brach dann ab. Der zitternde Lichtkreis zeigte auf das Verandadach, das eingefallen war, eingesackt über dem abgebrochenen Pfosten, der es einmal getragen hatte. Dann glitt das Licht über die Frontseite und die Fenster, die schwarz glitzerten und es zurückwarfen, und hielt schließlich bei einer eingeschlagenen Fensterscheibe inne; der Fensterrahmen steckte voller Glassplitter.
Keiner sagte etwas. Rube ließ die Lampe sinken und im Rhythmus ihrer Schritte mitschwingen, während sie weitergingen. Wieder blieb er stehen, ließ das Licht über ein indianisches Zelt wandern, das mit Büffeln und Figuren skizzenhaft bemalt war. Lange Bahnen aus zerrissenem Stoff hingen an ihm herunter. Aus seinem Inneren schimmerte matt das verchromte Drahtgestell eines umgestürzten Einkaufswagens. Der Lichtstrahl wanderte zu einem weiteren Zelt, das ebenfalls eingestürzt war. »Rube«, sagte Danziger, »das ist ja scheußlich.« Seine Stimme klang dünn und hohl in dem großen Raum, in dem sie sich befanden,. »Scheußlich. Machen Sie das verdammte Ding aus.«
Das Licht erlosch; in vollkommener Finsternis sagte Danziger: »Also gut. Was ist passiert?«
»Wir gingen Bankrott. Alle Regierungsgelder wurden gestrichen. Jeder Penny. Und das Projekt eingestellt. Wir sind nicht mehr im Geschäft, Doktor. Es gibt kein Projekt mehr. Manchmal treibe ich mich hier herum; es lässt mich nicht los. Ich nehme an, sie wissen, dass ich manchmal komme. Zumindest haben sie die Schlösser an der Tür unten nicht ausgewechselt. Aber sie
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