Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)
Schultern schwangen elegant zur Seite, die Hüften wichen aus, so glitt ich hindurch, schlängelte mich an anderen vorbei, ging um sie herum. Warum stand ich nun in der Dunkelheit und lächelte darüber? Weil es Spaß gemacht hatte: ich genoss die Fertigkeit, mich schnell durch eine New Yorker Menschenmenge zu bewegen. Verrückt, aber ich lächelte.
Auf dem Gehweg vor dem Kino an der 8th Street anstehend mit Lennie Hindsmith, einer Grafikkollegin. Wir hatten die Hände in den Taschen, die Schultern hochgezogen, denn es war ein regnerischer, nebeliger Abend, und wir mussten noch zwanzig Minuten warten und beschwerten uns darüber. Es würde sicher langweilig, lohnte sich nicht, und eigentlich hätten wir lieber gehen sollen. Aber wir blieben. Und warteten auf die Vorführung eines Filmes, von dem ich mein Leben lang gehört und gelesen hatte, ein Film, der lange vor meiner Geburt gedreht worden war. Wir nörgelten, trotzdem blieben wir, zufrieden und glücklich mit dem Wissen, dass es keinen Ort auf der Welt gab, wo man gerade dies tun konnte.
Auf dem großen Platz des Lincoln Center in einer Pause mit einem Mädchen, das ich seit einiger Zeit kannte, dort draußen, wo wir nach oben blickten und hinter einer Glasscheibe, auf der von Kronleuchtern erhellten Treppe, Leute in Abendgarderobe sahen. Uns wurde bewusst, dass wir, in diesem besonderen Augenblick, am schönsten Ort der ganzen Welt waren.
Gefolgt von einer Erinnerung an ein Off-Off-Broadway-Stück in einem verfallenen Gebäude im East-Side-Slum. Um von der Straße dorthin zu kommen, mussten wir uns einen Weg durch einen Wall aus vollen schwarzen Müllsäcken bahnen. Das Stück war schrecklich, einfach schlecht. Aber … ein ganz gutes Stück in einem recht guten Theater konnte man fast überall sehen. Wo sonst hatte man eine solch chaotische Vielfalt?
Ich überquerte unter einem Regenschauer geduckt die 42nd Street, rettete mich unter das Vordach der Grand Central Station, eilte die Rampe hinunter, durch das große marmorverkleidete Innere, in einen langen gewundenen Tunnel, hinauf in die Lobby eines Bürogebäudes, durch die Türen und über die Straße zu dem Gebäude, zu dem ich wollte, und war schon fast wieder trocken. Damit fertig werden. Mit der Stadt fertig zu werden, sie zu besiegen! In einer U-Bahn, voller Hass auf die Graffiti und allein schon das Wort, dicht an der Tür, die Hosentasche eng an die Haltestange gepresst, damit die Brieftasche nicht geklaut werden konnte. Ich kannte meine Haltestelle, ohne dass ich mich vorbeugen und das Schild durch das Fenster entziffern musste, dann als Erster aus dem Wagen und die Treppe hinauf.
Eine große Ratte, die spät nachts den Rinnstein entlangtrottete und mich ignorierte; der Platz gehörte ihr. Mitternacht, der Teer war weich unter meinen Schuhen, denn es war über einen Monat lang heiß gewesen, sogar der weiße, tote Rauch, der aus den Straßenschächten aufstieg, machte einen kraftlosen Eindruck. Heulen und Schreien spät nachts auf der Straße, tief unter meinem Fenster, für das ich keine Erklärung hatte. All das ging mir durch den Kopf. Was bedeuteten solche Erinnerungen? Waren sie pervers? Mochte ich Ratten vielleicht? Ich konnte diese Fragen hier auf meiner Brücke nicht beantworten. Aber ich dachte an die Zeit, in der ich während meines ersten Jahres in New York für eine Woche nach San Francisco geflogen war. Auf dem Balkon des Apartments eines Freundes vom College blickten wir auf die Bucht hinaus. Der Tag war sonnig, es ging ein schwacher Wind, viele Segelboote. Ich nickte und stimmte ihm zu, dass dies der schönste Ort Amerikas sei. Dass die Bay Area reizend, lebhaft, und doch abgeschieden sei und North Beach einfach großartig. Dass man hier viel tun konnte, dass es einige sehr gute experimentelle Theater gab. Und dass New York krank war, von der Kriminalität zerfressen, die einherging mit einem degenerierten Pomp, und dass die Stadt fertig, wirklich fertig war. Und ich nickte und sagte ja, und wie ich ihn um sein Leben hier beneidete. Trotzdem flog ich einen Tag früher zurück, zurück in diese Stadt, die keine Ruhe kannte.
Noch nicht lange in New York, und schon bekommt man ein Gefühl der Vertrautheit, spürt die Anziehung dieser Stadt, die einen nicht mehr loslässt, die einen packt und in der man versinkt – oh, so sehr – und die sonst nirgends zu finden ist, weil sie nirgends sonst existiert.
Und, ach, wie blasiert ist diese Stadt! Aber das kümmerte mich nicht. Ich
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