Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)
›Wir treffen ihn schließlich — zum Glück sind wir ihm nicht wirklich gefolgt – nach zwei Jahren wundervoller, aber eher desillusionierender Abenteuer in Zentralasien und Afrika. Er hat den Kongo gesehen und den Euphrat, den Ganges und den Nil, den Yangtsekiang und den Jenissei; er hat die Berge in Abessinien bestiegen, in Siam, in Tibet und Afghanistan; er hat in mehr als einem Dschungel auf Großwild Jagd gemacht, und in mehr als einem Wald ist er von kleinen braunen Menschen mit Pfeilen beschossen worden, ganz zu schweigen von den kurzen Zusammenstößen, die er in den Dörfern und Städten des Orients hatte …‹ Aber: ›Er hatte nicht die Spur einer Romanze gefunden.‹
Dennoch: ›Irgendwo im glänzenden Orient hatte er zu seinem aufrichtigen Erstaunen erfahren, dass es solch ein Land wie Graustark gab.‹ Und kaum hatte er Graustark erreicht, sprach er auch schon mit einem alten Mann, der ›seine gebeugte Gestalt stolz aufrichtete‹. ›Ich bin Waffenschmied der Krone, Sir. Meine Schwerter werden vom Adel geführt – nicht von der Armee, wie ich glücklicherweise sagen darf …‹
›Verstehe. Tradition, nehme ich an.‹
›Mein Urgroßvater schuf vor hundert Jahren Schwerter für die Prinzen. Mein Sohn wird sie fertigen, wenn ich einmal nicht mehr sein werde, und nach ihm sein Sohn. Ich, Sir, habe das wundervolle Schwert mit dem goldenen Griff und der goldenen Scheide geschaffen, das der Prinz an Festtagen trägt. Ich habe zwei Jahre daran gearbeitet. Kein anderes Schwert ist ihm gleich … Die Diamanten und Rubine, mit denen der Knauf besetzt ist, sind fünfzigtausend Gavvos wert …‹
Eine Seite später trifft Truxton King ›eine junge Frau von außergewöhnlicher Schönheit.‹ Und: ›Irgendwo in seinem nach Eindrücken lechzenden Sinn hegte er die Hoffnung, dass dieses schöne junge Wesen mit den träumerischen Augen mehr sei als nur ein Ladenmädchen. Dieser Gedanke war in ich aufgestiegen, in dem einen, flüchtigen Augenblick ihrer Begegnung, denn sie hatte das Wesen und die Ausstrahlung einer wahrhaft Edlen.‹
Nun, ich las nicht viel dieser Art. Aber was ist von dieser Geschichte zu halten? Sie unterscheidet sich kaum von denen, die wir im Fernsehen sehen. Ist sie deswegen weniger glaubwürdig? Können Automobile wirklich über Hügelkuppen fliegen, drei Meter über der Fahrbahn, und problemlos wieder auf ihren Rädern landen?
Die Graustark-Romane waren allesamt in den ersten Jahren des Jahrhunderts überaus populär, doch ich nehme nicht an, dass die Leute, die sie lasen, sie ernster nahmen als wir die heutige Unterhaltung. Als ich dieses Buch zu Ende gelesen hatte – ich saß auf einer Bank im Central Park, in Sichtweite des Plaza –, musste ich unwillkürlich lächeln; ich fühlte mich aber auch den Menschen, die Truxton King mochten, nahe. Aber sind ›Ladenmädchen‹ weniger wert als ›wahrhafte‹ Aristokraten? War 1912 auch eine Zeit sozialer Vorurteile? Die unbedacht und unwidersprochen hingenommen wurden?
Die Menschen, die ich suchte, lasen etwas anderes als billigen Schund: Sie lasen Edith Wharton. In A House of Mirth, das ich eines Morgens, nach dem Frühstück in einem Coffee Shop, in meinem Zimmer begonnen hatte, wartet eine neunundzwanzigjährige Frau in der Grand Central Station (ich musste innehalten und nachdenken: das war der kleine Grand Central Bahnhof aus Backsteinen, den Julia und ich kannten – nicht das heutige Gebäude) auf einen Zug, der ziemlich viel Verspätung hat. Sie trifft einen jungen Mann, den sie kennt, und nimmt seine Einladung an, mit ihm in seinem Apartment Tee zu trinken. Im Apartment ›sank Lily mit einem Seufzer in einen der schäbigen Ledersessel. ‹
›Wie reizend, einen Ort wie diesen ganz für sich zu haben. Wie schrecklich ist es doch, eine Frau zu sein.‹
Der junge Mann erwidert: ›Auch Frauen können in den Genuss eines eigenen Zimmers gelangen.‹
›Oh, Gouvernanten – oder Witwen. Aber nicht junge Frauen – arme, unglückliche Frauen im heiratsfähigen Alter!‹
Sie verlässt das Apartment, ›als sie aber den Gehweg betritt, stößt sie mit einem kleinen Mann zusammen. Er hat glänzende Augen und trägt eine Gardenie im Knopfloch. Mit einem Ausruf des Erstaunens nimmt er den Hut ab.‹
›Miss Bart? Sie hier! Das nenne ich Glück‹, erklärt er; unter seinen hochgezogenen Augenbrauen nahm sie ein amüsiert neugieriges Zwinkern wahr.
Sie antwortet – er ist ein gewisser Mr. Rosedale – und ›Mr.
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