Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)
Liberty, New York, Empire, Criterion, Lyceum, Knickerbocker, Garrick, Hudson, Harris, Gaiety, Park, Fulton, George, Maxine Elliott, Playhouse, Broadway, Casino, Lyric, Herald Square, Lew Fields … und andere. Der Broadway mit den weltberühmten Rector’s und Shanley’s. Mit prunkvollen Hotels: dem Normandie, Marlborough, Knickerbocker … Aber auch diese gemächliche Straße mit Müßiggängern und dem Schuhputzjungen (s. links unen). Eine Straße mit Barbierläden, Poolhallen und Kegelbahnen (ich hörte das plötzliche hohle Klappern der Holzkegel). Eine Straße mit Obstständen auf dem Gehweg und sogar einem Kino. Kein falscher Glamour und kein Glitzern, sondern beinahe eine ruhige, angenehme Straße in einem Wohnviertel, dieser Broadway (s. Seite 724 oben). Ich stieg einige Stufen einer herabgelassenen Feuertreppe hinauf und machte diese Aufnahme (s. Seite 724 unten). Über der Straße liegt das Knickerbocker Theatre, wo morgen The Greyhound gespielt würde … wo morgen die Dove Lady vorüberschreitet – genau hier, gleich über der Straße. Und auf dem Gehweg würde Z stehen und ihr nachträumen. Und am nächsten Tag wird er einen Brief schreiben, in dem er dies erzählt. Den ich bereits gelesen habe.
Aber Tessie und Ted? Ich ging weiter, bis hinunter zur 28th Street, wo die Theater aufhörten. Überprüfte Daly’s (s. rechts oben). Und Joe Weber’s gleich daneben. Und — meine letzte Hoffnung – Proctors Fifth Avenue Theatre am Ende dieses Blocks hier. Keine Tessie, kein Ted, aber … die Dove Lady.
Sie war mit den anderen auf dem Vaudeville-Plakat aufgeführt, auf einer großen Staffelei im Foyer war ihr Foto ausgestellt; auf jeder Schulter hatte sie einen Vogel und lachte der Welt zu; ein schönes, freundliches Gesicht. Und Madam Zelda, die weltbekannte Gedankenleserin, und sechs andere Aufführungen. Ich stand vor dem Foto der Dove Lady und dachte – amüsiert –, dass Rube vielleicht doch recht hatte: Hier war alles noch in Ordnung: Hier lebten die Menschen noch, die die paar alten Briefe, die Rube besaß, geschrieben hatten. Und vielleicht würde ich — wenngleich auf sehr ungewöhnliche Weise – auch die Menschen finden, die ich eigentlich suchte?
Ja, verdammt noch mal, ja. Und wenn sie nicht hier waren, dann vielleicht woanders – und plötzlich fiel mir ein, dass es noch einen Ort gab, wo ich suchen konnte. Im Hotel kaufte ich eine Ausgabe von Variety, nahm sie mit auf mein Zimmer und fand … fünfundzwanzig zu allerlei Kunststückchen abgerichtete Hähnchen. Fand Deas, Reed and Deas. Fand Nadje. Fand – konnte es möglich sein — Ed Wynns Mutter? Fand dieses – wie mir schien – traurige, verlorene Paar. Fand eine endlose Liste von Varieté-Darbietungen, großen und kleinen, darunter einen Affenmann. Was ist das? Und wenn Sie nun wirklich ein erstklassiger Affenmann wären, wäre Ihre Mutter dann noch stolzer auf Sie? Doch ganz sicher war Mrs. Kuhn stolz auf ihre drei Boys, die so clever mit Worten umgehen konnten. Ich lag auf meinem Bett und ging Spalte für Spalte durch, Anzeigen wie diese – große, kleine – und fragte mich, wer diese Leute wohl sein mochten, diese Affenmänner, doppelstimmigen Frauen und die Weißen Kuhns.
Nun, es waren Menschen mit Problemen, wie wir anderen alle auch, Problemen, die manchmal in den Anzeigen zum Ausdruck kommen. Das unnachahmliche Bimm-Bomm-Brrr-Trio schien Probleme mit Imitatoren zu haben. Selbst die weltbekannte Eva Tanguay hatte Probleme. Genau wie ich. Seite für Seite, Spalte für Spalte, Anzeigen wie diese, aber kein Wort über Tessie und Ted.
17
Am nächsten Morgen blieb ich in meinem Hotelzimmer am Fenster stehen, um zu sehen, was draußen vor sich ging. Nicht viel, das Übliche, außer … bewegten sich die Fußgänger nicht ein wenig schneller? Ja. Dann kamen drei Jungen angerannt, sie liefen in westliche Richtung und überholten die anderen Fußgänger. Ich hatte mir gerade mein Hemd zugeknöpft, griff mir eine Jacke, ging runter, vor das Hotel und blickte angestrengt zum Columbus Circle hin, der drei Häuserblocks entfernt lag. Eine Menge Leute waren bereits dort angekommen, vor allem Männer, die alle nach Norden, nach Central Park West eilten.
»Was ist los«, fragte das Jotta Girl dicht neben mir.
»Weiß ich nicht.«
»Nun, dann lassen Sie uns nachsehen!« Sie nahm wie selbstverständlich meinen Arm, und wir traten vom Gehweg, um die Straße zu überqueren. Doch ich zog sie schnell wieder zurück;
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