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Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Titel: Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Finney
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hatte tatsächlich Geschmack; ich war auf einmal hungrig. Danziger legte den Löffel hin, tupfte sich mit der Serviette die Lippen und sagte: »Die Zeit verging. Dieser erstaunliche Geist arbeitete weiter. Und Einstein verkündete, dass E = mc 2 sei. Und, Gott mag uns vergeben, zwei japanische Städte versanken in Schutt und Asche und bewiesen, dass er wieder einmal recht gehabt hatte.
    Ich könnte so weitermachen; die Liste von Einsteins Entdeckungen ist lang. Ich möchte jedoch auf Folgendes hinaus: Irgendwann sagte er, dass unsere Vorstellungen von Zeit zum größten Teil falsch seien. Und ich zweifle nicht einen Augenblick lang, dass er auch damit recht hat. Denn eine seiner letzten Arbeiten nicht allzu lange vor seinem Tod bestand darin zu beweisen, dass alle seine Theorien zu einem großen Ganzen gehören. Es sind keine einzelnen, voneinander unabhängigen Theorien, sondern sie stehen miteinander in Verbindung, bedingen und stützen sich gegenseitig; zusammengefasst erklären sie, wie das Universum funktioniert – und es funktioniert nicht so, wie wir uns das immer vorgestellt haben.«
    Er begann den roten Zellophanstreifen von der kleinen Crackerpackung zu lösen, die seiner Suppe beilag, und sah mich wartend an. Ich sagte: »Ich habe ein wenig darüber gelesen, was er über die Zeit gesagt hat, aber ich kann nicht behaupten, dass ich verstanden habe, was er meinte.«
    »Er meinte, dass wir uns völlig falsche Vorstellungen davon machen, was Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wirklich bedeuten. Wir glauben, die Vergangenheit sei vorüber, die Zukunft sei noch nicht eingetreten, nur die Gegenwart existiere. Denn wir können nichts anderes wahrnehmen als die Gegenwart.«
    »Nun, wenn Sie meine Meinung hören wollen, muss ich Ihnen sagen, dass es mir genauso erscheint.«
    Er lächelte. »Selbstverständlich. Mir geht es ebenso. Das ist nur natürlich. Wie Einstein selbst betont hat. Er sagte, wir seien wie Menschen in einem Boot ohne Ruder, das auf einem mäandernden Fluss dahintreibt. Um uns herum sehen wir nur die Gegenwart. Die Vergangenheit hinter uns, hinter den Kurven und Biegungen, können wir nicht mehr sehen. Aber sie ist noch da.«
    »Meinte er das wörtlich? Oder meinte er …«
    »Er meinte immer genau das, was er sagte. Wenn er sagte, Licht besitze Gewicht, dann meinte er, dass das Sonnenlicht, das auf einem Getreidefeld liegt, tatsächlich mehrere Tonnen wiegt. Und nun wissen wir – es wurde gemessen –, dass es wirklich so ist. Er meinte, dass die enorme Energie, die Atome theoretisch aneinander bindet, in einer unvorstellbaren Explosion freigesetzt werden kann. Was auch wirklich möglich ist, eine Tatsache, die die Geschichte der Menschheit verändert hat. Und ebenso meinte er genau das, was er über Zeit gesagt hat: nämlich dass die Vergangenheit, dort hinten, hinter den Kurven, immer noch existiert. Sie ist wirklich da.« Einige Sekunden lang verstummte Danziger, seine Finger spielten mit dem roten Zellophanstreifen. Dann blickte er hoch und sagte nur leise: »Ich bin theoretischer Physiker an der Harvard University und für dieses Projekt beurlaubt. Meine kleine Erweiterung der großen Theorie Einsteins ist … dass es einem Menschen irgendwie möglich sein sollte, dieses Boot zu verlassen und das Ufer zu betreten. Und zu einer der Biegungen, die hinter uns liegen, zurückzukehren.«
    Ich musste mich sehr beherrschen, um mir meine Reaktion nicht anmerken zu lassen: dass er ein intelligenter, vernünftiger, aber doch ziemlich verwirrter alter Mann war, der viele Leute in New York und Washington davon überzeugen konnte, ihm einen Supermarkt für seine Phantasien zu bauen. Konnte es sein, dass ich der Einzige war, der das erkannt hatte? Nein; an diesem Morgen hatte Rossoff schon amüsiert festgestellt – wirklich amüsiert? –, dass ich hier einem Irrenhaus gelandet sei. Ich nickte gedankenvoll. »Wie zurückgehen?«
    Danziger hatte noch ein wenig Suppe übrig, die er nun auslöffelte; ich aß mein Sandwich auf. Dann hob er den Kopf, und seine Augen blickten direkt in meine. Ich erwiderte den Blick und wusste, dass Danziger nicht verrückt war. Er war exzentrisch, vielleicht irregeleitet, aber er war nicht verrückt; und plötzlich war ich froh, hier zu sein. Er sagte: »Welchen Tag haben wir heute?«
    »Donnerstag.«
    »Welches Datum?«
    »Den … den sechsundzwanzigsten, stimmt das?«
    »Sagen Sie es mir.«
    »Den sechsundzwanzigsten.«
    »Welchen Monat?«
    »November.«
    »Und

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