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Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Titel: Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Finney
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suchte: Früher oder später wäre ich entdeckt und hinausgeworfen worden. Ich schaute ihn mir an, dann zog ich meine Brieftasche heraus – sehr leise und vorsichtig –, entnahm ihr einen Zwanzigdollarschein und faltete ihn zweimal. Ich hielt ihn in meiner geschlossenen Hand, bemühte mich, ein harmloses Lächeln aufzusetzen, und klopfte dem Mann aufs Knie.
    Er rührte sich nicht, sondern öffnete nur ein wenig die Augen – er gab vor, nicht geschlafen zu haben. Ruhig sah er mich an. »Entschuldigen Sie«, sagte ich, »aber ich frage mich, ob es nicht möglich wäre …« Was? Ich nannte den einzigen Namen, den ich hier kannte. »Die Dove Lady zu sehen.«
    Er schüttelte den Kopf, fragte mich, wer ich sei und so weiter, ich aber, ohne auf die Hand zu schauen, so, als handelte sie unabhängig von mir, gab ihm den gefalteten Geldschein. Er sah auf den Schein, dann mich an – seine Augen wurden hart, und ich verstand. Ich hatte einen Fehler gemacht; er hatte den Yellow Back gesehen und die große 20; es war zu viel, wahrscheinlich mehr als zehnmal zu viel, und das machte ihn argwöhnisch. Aber dennoch … er konnte seinen Blick nicht von dem Geldschein in seiner Hand abwenden, zögerte und stand dann auf. »Warten Sie hier.«
    Der kleine Raum mit dem Holzboden, in dem er mich zurückließ, maß etwa drei mal drei Meter. Zu meiner Rechten sah ich die dunkle Bühne und viele hintereinandergestellte Kulissen von der Seite; mysteriöse Seile führten ins Dunkle hinauf. Vom Gang her, den der Türsteher gerade genommen hatte, hörte ich eine Frau singen. Hörte das leichte, kunstreiche, warmherzige Lachen eines Mannes. Hörte einen Mann – theatralisch – fluchen. Die Wand links von mir bestand aus unverputzten Ziegelsteinen, daran hing ein weiß gestrichenes schwarzes Brett, zu dem ich nun hinüberging, um die Mitteilungen zu lesen.
    Eine bestand aus einer gedruckten Liste der Aufführungen, mit den Zeiten der Nachmittags- und Abendvorstellungen. Eine auf Pappkarton gedruckte Notiz – ich hatte Zeit, sie abzuschreiben – lautete folgendermaßen: Gebrauchen Sie auf dieser Bühne keine Ausdrücke wie ›Hurensohn‹ oder ›Arsch‹ oder ›Herrgott‹, wenn Sie nicht wollen, dass Ihnen sofort gekündigt wird. Sprechen Sie niemanden im Publikum direkt an. Sollten Sie nicht über die Fähigkeit verfügen, Mr. Keiths Publikum zu unterhalten, ohne es zu beleidigen, dann strengen Sie sich wenigstens an. Mangel an Talent wird weniger getadelt werden als die Beleidigung eines Zuschauers. Sollten Ihnen, was Ihre Vorstellung betrifft, Zweifel erwachsen, dann sprechen Sie mit dem Direktor, bevor Sie die Bühne betreten; denn sollte es vorkommen, dass Sie auf der Bühne etwas Gotteslästerliches oder auch nur Anzügliches äußern, dann werden Sie sofort aus dem Ensemble ausgeschlossen und bei keinem Theater mehr ein Engagement bekommen, das unter der Leitung von Mr. Keith steht.
    Oben am Rand des Holzrahmens hatte jemand in sauberer Druckschrift geschrieben: Schmutzige Wäsche erst nach der ersten Vorstellung zur Reinigung bringen. Doch es standen noch mehr Mitteilungen eher flüchtiger Art in Bleistift oder Tinte darauf. Geben Sie nicht dem Orchester die Schuld, es ist in der Gießerei fleißig am Proben … Gott, was für eine kleine Bühne … Wo bleibt die Post? … Wir wissen, dass das Theater auf den Hund gekommen ist, aber wie ist eure Show? … Die Garderoben werden jeden Sommer geschrubbt  … Oben an der Ecke war eine Visitenkarte angeheftet: Mitteilungen an die Zeno Brothers, Akrobaten, können an BILLBOARD geschickt werden. Eine Notiz lautete: Luke Mason von ›The Josh Wilkins Company‹ ist Amerikas größter Komödiant. Mit Bleistift auf einem kleinen Papierrechteck, das offensichtlich von einem Briefumschlag abgetrennt worden war: Flo De Vere, von der ›Belle of Boston Company‹, grüßt die Wrangler Sisters von ›The Merry Marauders Company‹. Eine gedruckte Liste von Pensionen: über zwanzig Adressen, die meisten davon in den dreißiger und vierziger Straßen West. Daneben, in Bleistift, ein halbes Dutzend weitere mit Kommentaren: Gut … Gutes Essen, aber zu wenig … Ein Loch – nur für Akrobaten. Ich hörte den Mann zurückkommen; als ich mich umdrehte, wies er mit dem Daumen über die Schulter und sagte: »Machen Sie schon.« Und ging an mir vorbei zu seinem Stuhl; ich bekam Lust, meine zwanzig Dollar zurückzufordern.
    Also den Gang entlang, dann nach rechts in einen breiteren, der

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