Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)
er hätte es wohl gerne getan.
Da ich sehr neugierig war, zog es mich auch dorthin; das Jotta Girl begleitete mich. Archie blieb zurück, er wollte nicht lauschen. Wir taten so, als ob wir die Straße beobachteten und nach jemandem Ausschau hielten, und hörten den Reporter – er hatte nun Block und Stift gezückt – sagen: »Und darf ich unseren Lesern mitteilen, dass Sie Ihren Aufenthalt hier genossen haben?«
»Natürlich. Ich liebe Amerika!« Sie drehte sich um, um ein Auge auf das Ausladen zu haben; die Koffer, bislang acht an der Zahl, türmten sich auf dem Gehweg.
»Und glauben Sie immer noch, dass die Suffragetten die Wahl gewinnen werden?«
»Natürlich werden sie gewinnen. Hier und in England. Sie müssen einfach.«
»Und Sie sind noch immer … eine Sozialistin?«
»Ja, sicher bin ich eine Sozialistin. Und gedenke eine zu bleiben.«
»Und Sie haben im – es war das Ritz-Carlton-Hotel – gewohnt?«
»Aber ja, natürlich. Warum auch nicht!« Sie wandte sich wieder den Ausladenden zu. »Sind alle Koffer da? John, Rudy, Alice? Sorgen Sie dafür, dass sie sicher an Bord kommen.«
»Ja, Ma’am«, sagte die Gesellschafterin. Die Lady schritt auf die Stufen zu, die zur Mauretania hinabführten. Zu dem Reporter, der ihr staunend nachblickte, sagte ich: »Wer ist sie?«
»Gräfin Warwick.«
»Und sie ist Sozialistin?«
»Das behauptet sie. Und ich glaube, sie ist es wirklich.«
Die Schrankkoffer waren nun alle ausgeladen, der Bedienstete winkte eine Reihe von blau uniformierten Trägern herbei, und ich zählte. Es waren achtzehn große schwarze Truhen, mit Messingbeschlägen, Messingschlössern und breiten, schwarzen Lederriemen. Um die Mitte war jeweils ein breites gelbes Band gemalt, zur schnellen Identifizierung, nahm ich an, und auf einer Seite eine Adelskrone, darunter die Initialen F. E. W. An jedem Koffer hing ein neu aussehender Aufkleber: Cunard Steamship Line. Doch neben den aufeinandergestellten Truhen stand ein großer Koffer, der mit Aufklebern von Cunard, White Star Line, Hamburg-American und denen von Hotels aus allen wichtigen Städten Europas übersät war; ich ahnte, dass er der Gesellschafterin gehörte.
Weitere Taxen und mit Gepäck beladene Laster kamen und gingen; der Wagen der Gräfin fuhr weg. Archie, das Jotta Girl und ich sahen uns an und feixten ein wenig, dann begaben wir uns zur Treppe hinunter zum Kai. Ich fühlte mich unerhört glücklich; allein schon, hier sein zu können, die Gräfin erleben und diese Holztreppe hinabsteigen zu können. Und war – bis zum Äußersten – entschlossen, meine Seele zu verkaufen, wenn ich nur mit diesem großen erleuchteten Schiff auslaufen könnte.
Da lag die Mauretania, unglaublich groß, drei unendlich lange Reihen von leuchtenden Bullaugen, Hunderte und Aberhunderte von ihnen, die in der Ferne zu Punkten verschwammen. Ich hatte zwar gelesen, dass ein Linienschiff das größte Ding sei, das sich allein bewegen könne, aber trotzdem war es – als wir die Stufen hinuntergingen und ich stauend nach oben sah – nicht zu begreifen. Wie konnte es so lang, so groß sein, wie konnte so etwas überhaupt von Menschenhand erschaffen werden, und wieso konnte dieses Monstrum schwimmen?
Unten angekommen, dann über die morschen Bohlen des Docks schließlich die Gangway hinauf, eine breite, mit Querhölzern beschlagene Planke. Hier herrschte überall Hast und Eile; das nervöse Lachen aufgeregter Menschen war zu hören, und es war ein seltsames Gefühl für mich, schon nach kurzer Zeit festzustellen, dass ich höher war als die Hausdächer der Stadt. Und dann trat ich aus der Welt, die ich bislang gekannt hatte, heraus.
In eine Welt, wie ich sie noch niemals zuvor erlebt hatte; ihre Wärme, Fremdartigkeit, sogar ihr Geruch war völlig anders. In einer Reihe stehende, freundlich lächelnde Männer und Jungen in Uniform begrüßten uns. Die Pagen, oder wie immer sie auch hier genannt wurden, trugen blaue Anzüge mit Messingknöpfen. Alle schienen glücklich, uns zu sehen, und wiesen uns höflich den Weg. Hinein in einen großen Raum, der vor Passagieren, Besuchern und vor Anstrengung schwitzenden Stewards schier überquoll. Golfsäcke lehnten an den Wänden, große Blumenkörbe warteten darauf, in die Kabinen geschafft zu werden. Auf dem Boden, an der Wand, übereinandergestapelte braune Pappkartons und auf kleinen Tischen große Schachteln mit Konfekt und Bündel mit Telegrammen. Es gab zweirädrige Handwagen für das Gepäck und
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