Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)
nachahmen konnte – sorgfältig einen Teil der Anzeige heraus, und zwar den Teil für Damenschuhe. Sah ihn mir genau an, drehte ihn dann um und betrachtete die andere Seite. Sofort hinaus auf den Gang und an ihre Tür geklopft.
Sie öffnete vorsichtig, erkannte mich, schloss die Tür wieder, um die Kette zu entfernen, ließ mich dann herein, sah mich wortlos an und wartete auf eine Erklärung. Sie hatte den Bettüberwurf zur Seite getan, das Bett war noch unberührt, also setzte ich mich auf die Bettkante und wies mit dem Kinn auf den Stuhl, auf den sie sich niederlassen sollte. Stattdessen aber setzte sie sich neben mich, ein wenig zu dicht. Also rückte ich ein wenig von ihr ab. Ich ließ mich nach hinten fallen, drehte mich zur Seite, stützte meinen Kopf auf den Arm und sah sie an. Sie war an diesem Abend zu Späßen aufgelegt und tat es mir nach – so lagen wir da, die Köpfe kaum zehn Zentimeter voneinander entfernt; sie zwinkerte mir zu und lächelte. Es machte mich nervös, sie wusste das, und nur um etwas zu sagen, murmelte ich: »Das Jotta Girl.«
»Was?«
»So heißen Sie. Bei mir. Das Jotta Girl. Nach einem Lied.« Ich begann leise die sinnlosen Nonsensworte zu singen, die mich als Fünfjährigen so beeindruckt hatten. »Jotta … jotta! Jotta, jotta, jink-jink-jing!« Sie lächelte, nickte, und als ich fortfuhr, fiel sie ein und wir sangen beide. »Everywhere you go your hear ’em sing.« Lächelnd über diesen Unsinn und die frühe Morgenstunde, es war zwei Uhr, sangen wir. »Jotta! Oh, jotta! Jotta, jotta, jink-jink-jing!« Dann waren wir es leid. Noch immer lächelnd sagte ich: »Woher kennen Sie es?«
»Keine Ahnung; immer schon, vermutlich. Ein altes Lied, hab ich recht?«
Ich nickte, sehr langsam. »Ja, ein Lied aus den Zwanzigerjahren dieses Jahrhunderts.« Ich wartete auf eine Reaktion von ihr, ihre Verwirrung, ein Lied zu kennen, das erst in einigen Jahren geschrieben werden würde. Aber sie merkte nichts; sie lag nur da und beobachtete mich.
Also fragte ich sie: »Haben Sie Ihre Schuhe bekommen?«
»Welche Schuhe?«
Aus meiner Hemdtasche nahm ich den Zeitungsausriss meiner Evening Mail, faltete ihn auseinander und zeigte ihr die Anzeige, die sie aus meinem ersten Exemplar des Express herausgerissen hatte – die Anzeige für einen Damenschuh. »Das ist der Schuh, für den Sie sich angeblich interessierten.« Dann drehte ich das Blatt um. »Oder war es eher das hier, was Sie herausgerissen haben, damit ich es nicht sehe?« Oben an der Seite war eine Spalte mit Abfahrten überschrieben. Darunter, in kleinerer Schrift: Nach Le Havre und Southhampton, heute Nacht auf der Mauretania: Colonel und Mrs. William T. Allen, Kenneth Braden und Susan Ferguson mit Tochter, Mr. und Mrs. Oliver Ausible, Marguerite Theodosia, Tom Buchanan, Ruth Buchanan, Miss Edna Butler, Major Archibald Butt, Berater des Präsidenten … »Sie hätten es nicht aus meiner Zeitung herausreißen müssen«, sagte ich, »ich hätte es nie bemerkt.«
Sie zuckte mit den Achseln. »Ich musste auf Nummer sicher gehen.« Sie rührte sich nicht; blieb einfach liegen und wartete. Daher sagte ich es.
»Dr. Danziger hat Sie geschickt, nicht wahr«, sagte ich.
Sie nickte. »Obwohl wir befürchteten, dass Sie mich erkennen könnten; ich war nämlich zu Ihrer Zeit am Projekt. Aber er hatte sonst niemanden, den er schicken konnte. Ich habe mich immerhin an Sie erinnert!.«
»Ja, nun, tut mir leid. Ihr Haar ist anders, oder?«
»Natürlich, trotzdem.«
»Nun, es tut mir schrecklich leid. Ich entschuldige mich. Er schickte Sie, um mich aufzuhalten, nicht wahr?«
»Ich glaube, so kann man es nennen, Simon. Dr. Danziger wusste sofort, wer Z war, als Sie den Namen erwähnten. Am Telefon, damals.«
Ich nickte.
»Jeder wusste, wer Archibald Butt war! Die ganze Welt. Nur Sie und Rube nicht.«
Wieder nickte ich.
»Also – ja, klar. Ich bin hergekommen, um Sie von ihm fernzuhalten, soweit mir das möglich war. Bis er abfuhr. Ich denke, Archie war Ihnen gegenüber sowieso misstrauisch; Sie waren ziemlich forsch.«
»Na ja, ich hatte nicht viel Zeit.«
Sie rückte mit dem Gesicht ein wenig näher. »Ich bin also schuld. Was wollen Sie dagegen tun?«
»Oh, ich bin nicht sauer. Es tut mir nicht einmal leid. Ich glaube sogar, dass Dr. Danziger recht hat.«
»Ach ja? Und wie kommt es dann – wirklich, Simon, wie konnten Sie sich auf ein so unvernünftiges Unterfangen einlassen?«
»Wie den Ersten Weltkrieg zu verhindern?
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