Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)
Wand.
Dann schaute er wieder mich an. »Das ist der Zweck all unserer Konstruktionen unten in der Halle. Sie dienen der Vorbereitung: ein vorübergehender Ersatz für die realen Orte, die noch nicht verfügbar oder nicht lange genug verfügbar sind. Es gibt nicht mehr viele tausend Jahre alte Bauwerke, aber eines davon ist die Kathedrale Notre Dame von Paris. Den wirklichen Schauplatz werden wir nicht einmal fünf Stunden lang für uns haben, zwischen Mitternacht und der Morgendämmerung, und nur eine Nacht lang. Auf der Ile de la Cité und an den Ufern links und rechts der Kathedrale werden Strom und Gas abgeschaltet. Wir haben die Erlaubnis, die unmittelbare Umgebung nach unseren Vorstellungen zu gestalten. Das Äußerste, was wir – durch das State Department – mit den Franzosen aushandeln konnten. Sie glauben, es handle sich um einen Film. Wir hatten sogar ein ganzes Drehbuch ausgearbeitet, das wir ihnen vorlegen konnten und das sie, wie ich glaube, überzeugt hat. Niemand in unserem Projekt hegt für diesen Versuch große Hoffnungen, wir haben nur wenig Zeit, in der sehr viel über die Bühne gehen muss. Ich befürchte, sie wird nicht ausreichen. Und die Epoche liegt weit zurück; kann sich wirklich jemand hineinversetzen, wie es damals war? Ich bezweifle es, gebe aber die Hoffnung nicht auf. Wir geben alle unser Bestes, mehr können wir nicht tun.«
Danziger stand auf, bedeutete mir ihm zu folgen, und ging zu dem zugedeckten Tisch hinüber. »Abgesehen von zahllosen Details wissen Sie nun, worum es in unserem Projekt geht. Aber das Beste habe ich für den Schluss aufgespart: Ihre Mission.«
Er zog das Tuch zur Seite und enthüllte ein wunderbar gearbeitetes Modell. Aus grünem Wasser mit weißen Schaumkronen erhob sich auf einer Insel ein kleiner bewaldeter Berg. Gegenüber der Insel, durch eine Meerenge von ihr getrennt, lag ein felsenübersäter Strand, hinter dem sich zerklüftete Klippen auftürmten. Über den Klippen wuchs Wald, und zwischen den Bäumen stand ein weißes Haus mit einer Veranda.
»Wir werden all dies in der großen Halle nachbilden.« Danziger berührte den Gipfel der bewaldeten Insel. »Das ist Angel Island in der Bucht von San Francisco; sie gehört dem Staat. Außer einer schon lange aufgegebenen Immigrationsstation und einem verlassenen Nike-Abschussplatz, die beide hinter Bäumen verborgen liegen, sieht die Insel noch genauso aus wie um die Jahrhundertwende, als dieses Haus« – er berührte das kleine Dach – »neu war. Es war das erste Haus, das hier gebaut wurde, es besitzt die beste Aussicht und liegt am nächsten zum Wasser. Das Haus existiert noch immer, und abgesehen von der Aussicht aus den hinteren Fenstern ist sonst auch keines der neueren Häuser zu sehen. Außerdem blockiert Angel Island die Sicht auf die Bay Bridge. Der Ort ist daher heute noch genauso wie früher, sieht man von den modernen Schiffen ab, die durch die Bucht fahren. Für zwei volle Tage und drei Nächte können wir die Bucht so haben, wie sie damals war, inklusive zweier großer Segelschiffe und mehrerer kleiner.« Danziger lächelte mich an und legte seine große schwere Hand auf meine Schulter. »San Francisco war schon immer ein schöner Ort, einen Besuch wert. Aber man sagt, dass die Stadt, die im Erdbeben und Feuer von 1906 zerstört wurde, ein ganz besonders schöner Ort gewesen sei. Mit keiner anderen Stadt zu vergleichen. Und das, Si – San Francisco im Jahr 1901 – ist Ihnen zugedacht.«
Keiner kann es leiden, wenn seine Pointen verdorben werden. Und dieser Moment besaß eine Art unschuldiger Theatralik, die mir gefiel und die ich nicht gerne zerstörte. Aber ich musste es tun, und ich schüttelte seufzend meinen Kopf. »Nein. Wenn ich die Wahl habe, Dr. Danziger, dann nicht San Francisco. New York wäre mir sehr viel lieber.«
»New York?« Überrascht zuckte er mit der Schulter. »Nun, ich würde mich anders entscheiden, aber wenn Sie wollen … Ich dachte, ich biete Ihnen etwas ganz Außergewöhnliches, aber …«
Aber ich musste ihm bedauerlicherweise erneut widersprechen. »Es tut mir leid, Dr. Danziger, aber ich meine auch nicht das New York von 1894.«
Er lächelte nun nicht mehr; er starrte mir vielmehr zweifelnd ins Gesicht und fragte sich wohl, ob er mit mir nicht einen großen Fehler begangen hatte. »Ach ja?«, sagte er ruhig. »Von wann denn dann?«
»Vom Januar – das genaue Datum weiß ich nicht, werde es aber herausfinden – des Jahres 1882.«
Aber noch
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