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Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Titel: Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Finney
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bevor ich zu Ende gesprochen hatte, schüttelte er ablehnend den Kopf. »Und warum?«
    Es kam mir töricht vor, es auszusprechen. »Um … um einen Mann zu beobachten, der einen Brief aufgibt.«
    »Nur zu beobachten? Das ist alles?«, fragte er neugierig. Ich nickte. Abrupt drehte er sich um, ging zu seinem Schreibtisch, hob den Telefonhörer ab, wählte zwei Nummern und wartete dann. »Fran? Überprüfe unsere Aufzeichnungen zum Dakota; sie sind auf Film. Nach freien Apartments mit Blick auf den Park im Januar 1882.«
    Wir warteten. Ich betrachtete unterdessen das Modell auf dem Tisch, umrundete es und besah es mir von allen Seiten. Dann nahm Danziger einen Stift, notierte sich rasch etwas auf einem Block, sagte »Danke, Fran«, und legte auf. Er riss den Zettel ab und wandte sich mir zu; seine Stimme klang enttäuscht. »Es tut mir leid, das sagen zu müssen, aber es gab im Januar 1882 zwei freie Apartments. Eines im zweiten Stock, das nichts taugt. Das andere aber lag im siebten Stock und war den ganzen Januar frei, vom ersten Tag des Jahres bis in den Februar hinein. Offen gesagt, habe ich gehofft, dass es keines geben würde und dass damit Ihr Wunsch von vornherein als erledigt zu betrachten gewesen wäre. Das hier ist ein ernsthaftes Unternehmen, das sich nicht auf irgendwelche Privatinteressen einlassen kann. Was haben Sie vor? Erzählen Sie es mir wenigstens.«
    »Das werde ich tun. Aber ich will es Ihnen nicht nur erzählen, Sir. Ich will es Ihnen sogar zeigen. Morgen Vormittag. Denn ich glaube, wenn Sie sehen, wovon ich spreche, werden Sie mir zustimmen.«
    »Das glaube ich nicht.« Er schüttelte erneut den Kopf, sein Blick aber war etwas freundlicher. »Trotzdem, zeigen Sie es mir morgen früh, wenn Sie wollen. Gehen Sie jetzt lieber nach Hause, Si; das war sicherlich ein anstrengender Tag für Sie.«

5
    Etwa drei Monate, nachdem ich Katherine Mancuso kennengelernt hatte, begleitete ich sie eines Abends nach Hause. Ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern, was wir unternommen hatten. Wir waren mit dem MG unterwegs gewesen, ich fuhr ihn über den Bordstein und parkte ihn an seinem Platz zwischen ihrem Laden und dem nächsten Gebäude, und wir kletterten hinten raus. Oben in ihrem Apartment über dem Laden setzte Kate Wasser für Tee auf. Nichts Ungewöhnliches, trotzdem glaube ich, dass wir beide, schon als wir die Mäntel auszogen, auf mysteriöse Weise wussten – mysteriös, da sich dieser Abend in nichts von vielen vorausgegangenen zu unterscheiden schien –, dass wir eine unsichtbare Linie überschritten hatten und unsere Beziehung kein Geplänkel mehr war, sondern auf ein Ziel zusteuerte. Denn Katie begann viel über sich zu erzählen.
    Sie brachte den Tee ins Zimmer, in jeder Hand eine volle Tasse samt Untertasse – ich wusste, dass sie in der Küche bereits Zucker in meinen Tee getan hatte –, reichte mir die Tasse, setzte sich neben mich auf das Sofa und begann zu erzählen, beinahe so, als hätten wir beide gewusst, dass sie das an diesem Abend tun würde. Das meiste, was sie in dieser Nacht erzählte, spielt hier keine Rolle, nach einer Weile allerdings sagte sie: »Weißt du, dass ich Waise bin?«
    Ich nickte; sie hatte mir das schon vor einiger Zeit gesagt. Als Kate zwei Jahre alt war, unternahmen ihre Eltern einen Wochenendausflug und gaben Kate wie üblich bei Ira und Belle Carmody, ihren Nachbarn, in Obhut. Das war in Westchester. Sie waren sehr viel älter als die Mancusos, aber gute Freunde, kinderlos und verrückt nach Kate. Die Eltern kamen auf der Rückfahrt ums Leben.
    In den folgenden Tagen behielten die Carmodys Kate erst einmal bei sich. Als sich dann herausstellte, dass es keine Verwandten gab, die sie hätten aufnehmen können, sondern nur einen Cousin ihrer Mutter in einem anderen Staat, der sie niemals gesehen hatte, adoptierten sie die Carmodys, wozu der Cousin freudig seine Zustimmung gab. Sie zogen sie auf, und natürlich waren sie für Katie ihre Eltern; an ihre eigenen konnte sie sich nicht mehr erinnern.
    Ich nickte; ja, ich wusste, dass sie eine Waise war. Kate stand auf, ging in ihr Schlafzimmer und kam mit einer Faltmappe aus glänzend roter Pappe zurück, die mit einem roten Band zugebunden werden konnte. Sie legte sie auf ihren Schoß, öffnete sie behutsam, fand das richtige Fach, griff hinein und – wir sind von Geburt an alle instinktiv Schauspieler – zog die Hand nicht mehr heraus, sondern redete weiter und ließ meine Neugierde größer

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