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Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Titel: Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Finney
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erstaunlicherweise, als kehrte ich nach Hause zurück. Um sechs stand ich mit einer langen Gabel in der Hand am Herd und wartete darauf, dass die Kartoffeln weich wurden, wobei ich die Evening Sun vom 22. Januar 1882 las. Und dabei kam es mir so vor, als hätte ich diese alltäglichen Verrichtungen niemals unterbrochen. Bei meiner Ankunft hatte ich gesehen, dass der Schnee der letzten Nacht vor dem Gebäude weggeräumt worden war, dass die Ampeln wieder funktionierten und der Verkehr wieder floss. Aber das zählte nicht mehr. Denn nun wusste ich – ich wusste es einfach –, dass dort draußen auch der Januar 1882 existierte. Und ich wusste – wusste wahrhaftig –, dass ich zu gegebener Zeit in der Lage war, wieder dort hinausgehen zu können.
    Ich stach in meine Kartoffeln; sie waren in der Mitte noch immer hart, also las ich weiter die der Länge nach gefaltete Zeitung. Der Prozess gegen Guiteau, den Attentäter von Garfield, war heute fortgeführt worden; Guiteau hatte sich wie bisher selbst verteidigt; die Untersuchungen im Star-Route-Skandal zogen sich in die Länge; auf einer einsam gelegenen Farm in Wyoming war eine ganze Familie skalpiert aufgefunden worden. Es läutete.
    Mit der Zeitung unter dem Arm ging ich in Hausschuhen über den langen, breiten Korridor und öffnete die Tür. Katie stand draußen im Hausflur. In einem bis fast auf den Boden reichenden Wintermantel, ein Tuch um den Kopf, lächelte sie mich nervös an und wartete darauf, dass ich etwas sagte. Als nichts dergleichen geschah und ich sie immer nur anstarrte, glitt sie schnell an mir vorbei ins Wohnzimmer. Ich drehte mich um, schloss automatisch hinter mir die Tür und sagte: »Katie, was zum Teufel soll das?« Aber sie durchquerte das Zimmer und legte den Mantel ab. Sie trug ein flaschengrünes Seidenkleid mit weißen Spitzen, das am Hals und an den Ärmeln geknöpft war, der Saum, der durch ihre lebhaften Bewegungen mitschwang, streifte den Rist ihrer geknöpften Schuhe. Mit einer schnellen Handbewegung knüpfte sie das dunkle Tuch auf, so, als müsse sie befürchten, daran gehindert zu werden, wenn sie sich nicht beeilte. Ihr Haar war in der Mitte gescheitelt, glatt nach hinten gekämmt und im Nacken zu einem Knoten geschlungen.
    Ich musste lächeln, sie sah sehr gut aus; ihr dichtes, wie Kupfer schimmerndes Haar, ihre blasse, leicht sommersprossige Haut, die großen braunen herausfordernden Augen, dazu das schimmernde Grün ihres Kleides; sie wusste, was sie tat, als sie diese Farbe auswählte. In dem Moment, in dem ich sie anlächelte, sagte sie schnell: »Ich werde mit dir gehen, Si. Um dabei zu sein, wenn der Brief aufgegeben wird. Es ist mein Brief, und ich werde mitkommen, um es zu sehen!«
    Ich mag Frauen, ich sehe sie nicht als den Männern unterlegen an, und verachte Männer, die das tun. Und ich glaube, dass Frauen genauso wie Männer Prinzipien haben – aber es sind, zum Teufel, ganz sicher andere Prinzipien. Ich wusste, dass ich Kate in wirklich allem vertrauen, dass ich mich absolut auf sie verlassen konnte; ihre Einschätzung von richtig und falsch entsprach auch der meinen. Nun aber stritten wir uns: Kate am Herd, wo sie die Vorbereitung für das Essen übernommen hatte, ich am Küchentisch, wo ich wartete. Dann, wir teilten uns die Koteletts, führten wir die Auseinandersetzung am Tisch weiter. Ich fing an, mich wie ein spießiger Bürokrat zu fühlen, der seine eigenen verstaubten Vorstellungen von Moral hochhielt. Denn für Kate zählte es einfach nicht, dass dies ein Regierungsprojekt von größter Wichtigkeit war, das unter enormem Aufwand und hohen Kosten durchgeführt wurde und an dem wichtige Leute im ganzen Land beteiligt waren. Ohne die geringsten Schwierigkeiten durchschaute Kate mich und reduzierte alles auf die Wahrheit – die weibliche Wahrheit. Sie wusste, das alles war in Wirklichkeit ein großes, teures und faszinierendes Spielzeug; wir alle spielten damit, und wie eine entschlossene Göre auf dem Spielplatz, die sich ihren Weg in den Kreis der Jungs bahnte, würde sie verdammt noch mal hier auch mitspielen.
    Ich leitete zu praktischen Argumenten über, aber das war ein Schlag ins Wasser. Denn unverzüglich wies sie darauf hin – sie deutete mit der Gabel auf mich, ihr Essen ließ sie kalt werden –, dass sie ebenso gut vorbereitet war; dass sie ebenso viel über die 1880er Jahre gelernt hatte wie ich. Und, führte sie aus, dass sie eigentlich besser vorbereitet sei, als ich es das letzte Mal

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