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Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Titel: Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Finney
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konnte nicht mehr rückgängig gemacht werden: Ich wusste, dass diese Zeit existierte. »Sie warten auf uns, Kate«, sagte ich, und – starke Stimmungen und mächtige Gewissheiten übertragen sich von einem Geist auf den anderen – Kate nickte. Auch sie glaubte und wusste es. Ich sagte: »Kate, ich glaube, es ist an der Zeit.« Einen kurzen Moment sah sie aus, als fürchte sie sich, dann nickte sie und schloss die Augen.
    Ich schloss ebenfalls die Augen und nahm Kates Hand in meine, lehnte mich zurück, lockerte jeden Muskel und ließ alle Spannung von mir abfallen. Und schließlich – Kate tat es mir nach – sprach ich leise zu mir. In wenigen Augenblicken, und für einen kurzen Augenblick, wirst du an nichts mehr denken; und du wirst beinahe schlafen. Wir haben den 23. Januar. Und das wird auch das Datum sein, an dem du schließlich wieder die Augen öffnest: der 23. Januar 1882. Du und Kate habt etwas zu erledigen; du wirst mit ihr in den Park gehen, und in deinem Geist wird keine andere Zeit sein. Alles, woran du denkst, ist, dass du zum Postamt willst. Sei dort um 5 Uhr 30. Keinesfalls später. Und beobachte, wer den blauen Umschlag abgibt. Misch dich nicht in die Ereignisse ein. Beobachte sie, bewege dich in ihnen, aber greife nicht ein. Eine Änderung: Das ist neu, aber es wird funktionieren, es wird funktionieren. An irgendeinem Punkt, wenn du durch den Park gehst, an irgendeinem Punkt, wenn du dir absolut sicher bist, dass das ein Winternachmittag im Jahre 1882 ist, wirst du dich an die Gegenwart erinnern. Du wirst dich an die Gegenwart erinnern, und zum ersten Mal wirst du wirklich ein Beobachter sein.
    Ich war ein wenig zusammengezuckt und sofort hellwach; ich hatte wohl kurz gedöst, wie mir schien. Kate beobachtete mich, ihre Hand lag in meiner. »Ich habe auch geschlafen. Wir müssen zum Postamt, Si. Hast du Lust dazu?«
    »Ja.« Ich nickte und stand gähnend Im auf. »Wird mir gut tun, nach draußen zu kommen.«
    Draußen im Flur zog ich gähnend meinen Mantel mit der Kapuze an, die Stiefel und die runde schwarze Pelzkappe. Kate schlüpfte in ihren Mantel und band sich das Tuch um den Kopf. Ich achtete ebenso wenig auf das Jahr oder Jahrhundert wie andere Leute, die sich anziehen, um nach draußen zu gehen. Und unten, als wir den Eingang zum Gebäude an der 72nd Street verließen, die Schultern eingezogen gegen die Kälte, das Kinn im Mantelkragen vergraben, und in den Wintertag hinausgingen, sah ich nicht nach Westen; wir überquerten die Straße, die an den Park angrenzte. Ich schaute weder nach Norden noch nach Süden. Warum auch? Es kam mir einfach nicht in den Sinn; die Luft war kalt und schwer zu ertragen, ich hielt den Kopf gesenkt.
    Den Park durchquerten wir in südöstlicher Richtung, bis zum Ausgang zur 59th und 5th. Es war kalt, wir sahen niemanden, und von der Stadt war fast nichts zu hören; nur unsere Schritte knirschten laut. In meinem Mantel fühlte ich mich geborgen, und da ich alle Müdigkeit abgeschüttelt hatte, begann ich den Spaziergang zu genießen. Neben den Wegen war der Schnee noch ganz jungfräulich, nur gelegentlich konnte man Spuren von Fußabdrücken sehen. Eine Weile lief unser Weg parallel zu der kurvenreichen Straße; von Weitem hörte ich das schwache Quietschen einer Achse und das leise, gedämpfte Geräusch von Hufen, machte mir allerdings nicht die Mühe, mich umzudrehen, auch Kate nicht. Wir gingen einfach durch den Park, hatten uns nun an die Kälte gewöhnt, hatten sogar Freude daran und dachten an nichts Besonderes.
    An der südöstlichen Ecke, der 5th Avenue und der 59th Street, verließen wir das riesige Gelände des Central Park; ich knöpfte den Mantel auf, um aus meiner Hosentasche die Geldbörse für die Fahrkarten zu holen. Da hörte ich Katie plötzlich stöhnen; ich schaute schnell zu ihr hinüber. Sie presste die Hand an die Stirn, ihre Augen waren geschlossen, das Gesicht kreidebleich. Ich wollte mich umdrehen und sie festhalten, stattdessen stolperte ich einen halben Schritt zur Seite und musste stehen bleiben, um mein Gleichgewicht nicht zu verlieren. Es zog mir beinahe die Füße unter dem Leib weg und ich musste mit aller Kraft gegen eine unbeschreibliche Übelkeit ankämpfen. Gleichzeitig zuckten Erinnerungsfetzen wie grelle Blitze durch jede einzelne meiner Gehirnzellen.
    Keiner von uns beiden hatte einen körperlichen Schockzustand erwartet. Endlich gelang es mir, Kate den Arm um die Schultern zu legen; sie zitterte. Ich lehnte an einem

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