Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Titel: Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Finney
Vom Netzwerk:
wandten uns nach ihm um. Der kleine Holzbus hatte am Gehweg angehalten, seine Laterne war vom Schneematsch verschmiert. Als wir auf ihn zugingen, bekam ich scharfen Ölgeruch in die Nase. Die Tür befand sich hinten, über einem hölzernen Trittbrett. Ich öffnete Kate die Tür und blickte nach vorne zum Fahrer – eine bewegungslose, in Decken gewickelte Figur draußen auf dem Vordersitz, unter einem gewaltigen Schirm. Ich folgte Kate nach drinnen, das Geschirr scheuerte am Rumpf der Pferde, der Bus ruckelte, und wir fuhren los. Dies hier ist die Skizze, die ich aus dem Gedächtnis angefertigt habe und die den Moment zeigt, als wir an einem Winternachmittag, dem 23. Januar 1882, die 5th Avenue hinunterfuhren.

    Drinnen zogen sich unter den Fenstern zwei Bankreihen entlang; Kate setzte sich neben die Hintertür, ich ging nach vorn zu dem kleinen Blechkasten, auf dem Fahrpreis 5 ¢ stand. Ich fand zwei Nickel, warf sie hinein und bemerkte das Loch im Dach, durch das der Fahrer sehen konnte, ob wir auch bezahlten.
    Und dann saßen wir auf der Bank – außer uns waren keine anderen Fahrgäste anwesend – und verdrehten unsere Köpfe, um beide Seiten dieser fremden, kleinen Straße gleichzeitig sehen zu können. Halb im Spaß sagte ich: »Das ist nicht die 5th Avenue. Das kann gar nicht sein.« Kate deutete nach draußen. Eine kleine Straßenlaterne zog am Fenster vorbei, vier horizontale bemalte Glasstreifen bildeten einen kastenförmigen Rahmen um sie, und wir konnten darauf 5th Avenue geschrieben sehen.
    Kate zupfte mich wieder am Ärmel. Als ich mich umdrehte, wies sie mit dem Kinn auf den Ausblick nach hinten. »Die Seventies, an der East Side«, sagte sie, und ich nickte. Wirklich: der Häuserblock, den wir nun entlangfuhren, glich exakt einigen der mit Bäumen bepflanzten Straßen der East Seventies im modernen New York; eine Reihe von hohen, ehrwürdigen, drei- und vierstöckigen Häusern, die von viel Geld zeugten. Und ich wusste, dass dies, obwohl es unwahrscheinlich war, die 5th Avenue war. Zwischen der 58th und 57th Street, an der östlichen Seite der 5th, waren die Häuser tatsächlich aus weißem Marmor und sahen sehr pompös aus. Den gesamten Block an der Westseite der 5th nahm ein Château aus Backsteinen und Graustein ein.
    Ein Gong ertönte, nicht laut, nur ein Schlag mit dem Schlägel, ich drehte mich um und erkannte die Ursache: Ein dunkelgrün lackierter, leichter Wagen bog von der 55th Street in die 5th ein und fuhr dann nach Süden. Fast unmittelbar danach bog er erneut ab, rechts in eine Einfahrt hinein, die den Gehweg und einen Streifen schneebedeckten Rasens durchschnitt. Wir sahen nun das Profil des Kutschers. Er hatte einen dicken Schnurrbart und trug eine dunkelblaue Kappe mit einem flachen Schirm. An der einen Seite des Wagens sah ich den Messinggong, den ich gehört hatte. St. Luke’s Hospital stand in goldenen Lettern auf den grünen Seitenpanelen; der Wagen hielt in der Einfahrt. Das Gebäude – wir konnten es nun sehen – war uns vollkommen fremd; es war groß und hatte einen lang gezogenen Seitenflügel, der sich bis zur 55th erstreckte: das Hospital. Der Kutscher band die Lederzügel am Kutschbock fest, dann sahen wir ihn von dort hinunterklettern – erst einen Fuß oben auf das Rad, dann den nächsten auf die Nabe, dann ein kurzer Sprung zum Boden. Ein weiterer Mann, er hatte ebenfalls einen Bart und trug einen langen weißen Mantel, tauchte auf und ging zum Wagenende. Da die Fenster unseres Busses ein wenig offen standen, hörten wir das Rasseln der Ketten, als sie die Heckklappe öffneten; dann sahen wir beim Weiterfahren, wie sie eine mit Leinwand bespannte Holztrage heraushoben, auf der ein bärtiger Mann lag, der regungslos in den Himmel starrte und bis zum Kinn in eine dunkle Decke gewickelt war. Wir wandten uns noch einmal um, sahen gerade noch, wie sie ihn rasch die Steinstufen hinauftrugen und dann in dem großen Gebäude verschwanden. Ich betrachtete die hohen, schmalen Bogenfenster; es war ein seltsamer Anblick, dieses Hospital hier in der 5th Avenue. Ich dachte an den Mann auf der Trage, der von Schwestern in langen Kleidern und bärtigen Ärzten versorgt werden würde. Leise, sodass es der Fahrer nicht hören konnte, sagte ich zu Kate, die sich zu mir hinüberbeugte: »Ärzte und Schwestern, die niemals die Worte Penicillin, Antibiotika oder Sulfonamid gehörten haben.« Ich konnte mich nicht daran erinnern, dass Martin Lastvogel dies erwähnt hatte, und ich

Weitere Kostenlose Bücher