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Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Titel: Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Finney
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wandte ich mich ab, um nicht aufdringlich zu erscheinen. Ihr Gesicht war mit Dutzenden kleiner Narben übersät – die Pocken gehörten noch zum Alltag. Niemand sonst schenkte ihr Aufmerksamkeit.

    Wir fuhren am Windsor Hotel vorbei, dem Sherwood, dann an etwas, das sich Ye Olde Willow Cottage nannte, wie ein altenglisches Schild verkündete, das sich über die gesamte Breite des Gebäudes erstreckte: ein hölzernes Gebäude im Kolonialstil mit Fensterläden, einer breiten Veranda und ein paar Holzstufen, ähnlich einem Laden auf dem Land. Aus dem Pflaster vor ihm wuchs ein großer Baum, die Fußgänger wichen ihm aus, und wenn Ye Olde Willow Cottage auch nicht aus kolonialen Zeiten stammte, so sah es doch danach aus. Gleich rechts daneben auf dieser erstaunlichen 5th Avenue befand sich Henry Tyson’s Fifth Avenue Market, anscheinend eine Metzgerei, denn ich erhaschte einen Blick auf gehäutete Rinderhälften, die im Inneren hingen.
    Der Verkehr hatte zugenommen. Wir erblickten Fuhrwerke; ein leichter Lieferwagen, dunkelrot mit der Aufschrift Moquin in goldenen Lettern, überholte uns. Während ich ihm noch hinterhersah, berührte Kate meinen Arm. Sie runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. »Si, es ist genug. Zu viel, einfach zu viel. Ich würde mich gerne … zurückziehen und einfach die Augen schließen.«
    »Das kann ich gut verstehen. Ich weiß, was du meinst.« Ich stand auf und bückte mich, um vorne rausblicken zu können. Wir mussten uns nun der 42nd Street nähern, und unbewusst hielt ich nach dem Orientierungspunkt Ausschau, der uns Aufschluss darüber geben würde: die große Bibliothek an der westlichen Ecke der 42nd. Wieder ein Augenblick äußerster Verwunderung, denn natürlich war sie nicht da. Dort, wo sie sich befunden hätte, stand etwas, das der Basis einer riesigen Pyramide glich: hohe glatte, nach innen gerichtete Mauern, die sich auf der 5th bis zur 41st Street hinzogen und an der 42nd in westlicher Richtung wieder aus dem Blickfeld verschwanden. Martin hatte mich mit Bildern vorbereitet, ich wusste also, was es war: das Croton Reservoir. Ein weiterer verwirrender Anblick in einer Stadt, die mir vollkommen vertraut und dennoch plötzlich so anders war. Der Bus fuhr an den Straßenrand, ich nickte Kate zu, und wir stiegen aus, direkt vor einer zweirädrigen Droschke, die kurz vor der Ecke geparkt hatte. Ich öffnete den Schlag und half Kate hinein. Drinnen, nachdem ich mich neben sie gesetzt hatte, lehnte sie den Kopf zurück und schloss die Augen. Der Kutscher saß hinten, auf einem hohen Sitz, von wo aus er über das Dach blicken konnte; ich hörte ein Geräusch und sah hinauf. Ein Brett wurde zurückgeschoben, das eine kleine quadratische Öffnung im Dach freigab. Einen Moment später erschienen ein Auge und die Hälfte des Gesichts, eine vor Kälte gerötete Nase und Teile eines großen Schnurrbarts. »Zum Hauptpostamt«, sagte ich; dann zog ich meine Uhr hervor und drückte auf den Stift, der den Deckel aufschnappen ließ. Es war fast fünf. »Schaffen Sie es in einer halben Stunde?«
    »Weiß nicht«, sagte er voller Abscheu, schnalzte und ließ die Zügel knallen. Wir fuhren auf die Straße hinaus. »So wie heutzutage der Verkehr ist … Er wird von Tag zu Tag schlimmer, man kann sich einfach nicht mehr festlegen. Wir werden es versuchen; die 5th hinunter zum Square sollte es nicht so schlimm sein zu dieser Tageszeit. Dann hinüber zum Broadway, um der verdammten Hochbahn zu entgehen; verzeihen Sie, Ma’am.« Auch ich hatte den Kopf zurückgelegt und die Augen geschlossen; ich hatte genug gesehen, beinahe mehr, als ich vertragen konnte. Als das Brett wieder zurückgeschoben wurde, lächelte ich; so anders New York auch war, es hatte sich doch nicht besonders verändert.

10
    Das langsame, gleichmäßige Geklapper der Hufe unseres Pferdes auf dem hart gefrorenen Schnee – ein wenig lauter und durchdringender auf den Pflastersteinen – wirkte beruhigend, ebenso das rhythmische Schwanken und Rütteln der gut gefederten Karosse. Ich erholte mich allmählich von der Übermacht der Eindrücke, hin und wieder öffnete ich die Augen. Aber das, was ich erblickte, war nach wie vor dasselbe: eine enge, schöne, teure Gegend mit alten großen Bäumen. Gelegentlich kamen wir auch an Hotels mit fremdartig klingenden Namen vorbei: St. Marc … Shelburn.
    Dann hörte ich den fernen Ton einer Glocke, der mit jedem Schlag lauter wurde; als wir die 33rd Street überquerten, wuchs er

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