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Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Titel: Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Finney
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oder schaute hinaus, bis wir Chambers Street erreicht hatten. Dann, einen Häuserblock weiter auf Kates Seite, erblickte ich die City Hall, und es war schön, wieder etwas Vertrautes zu sehen; ich holte meine Uhr heraus. Es war fünf Uhr zwanzig, Zeit, uns auf den Weg zu machen, und ich klopfte an das Dach.
    Wir gingen nach Süden, an der City Hall und dem kleinen Park davor vorbei. »Das ist die wirkliche City Hall, das kannst du nicht bestreiten«, sagte ich, und Kate lächelte. Dann überquerten wir die Straße zum großen Hauptpostamt, das das Dreieck gegenüber dem City Hall Park füllte, wo die Park Row am Broadway endet. Als wir den Haupteingang des Postamts erreichten, grinsten wir uns an; ein lächerliches Gebäude – Fenster und ornamentale Steinsäulen erhoben sich fünf Stockwerke hoch zu mit Schindeln gedeckten Türmen, gusseisernen Geländern und einer verzierten Kuppel; an einem Fahnenmast wehte eine lange spitze Fahne, auf der Post Office zu lesen war.
    Drinnen erwarteten uns Kachelböden, Spucknäpfe aus Messing, dunkles Holz, Kristallglas und Gaslampen. Wir fanden eine riesige Tafel mit Briefschlitzen aus Messing, die überschrieben waren mit City, Brooklyn, Staten Island, Angrenzender Bezirk, daneben ein paar weitere für die einzelnen Staaten oder Territorien, und Canada, Newfoundland, Mexico, South America, Europe, Asia, Africa und Oceania. Hinter dieser großen Tafel war eine ganze Wand voll mit Tausenden von Kästen mit privaten Postfächern. Es war gerade halb sechs Uhr vorbei, und Kate und ich nahmen zu beiden Seiten der großen Tafel Aufstellung und warteten.
    Ungefähr fünfzig Leute kamen während der nächsten fünfzehn Minuten herein und warfen Briefe in die Schlitze; es waren fast ausnahmslos Männer; und der Blick des Erstaunens und des Ekels auf Kates Gesicht war wirklich sehenswert. Fast jeder Besucher zielte, ohne seinen Gang zu unterbrechen, eine Ladung dicken braunen Kautabaksaftes in einen der unzähligen Spucknäpfe, die in der Halle aufgestellt waren. Manche waren darin geübt, trafen das Ziel sicher und hörbar und gingen dann erfreut und selbstsicher weiter. Andere verfehlten ihr Ziel um bis zu dreißig Zentimeter, und nun, da sich unsere Augen an den Schimmer des schwachen Lichts gewöhnt hatten, sahen wir, dass der Boden überall mit Tabaksaft und Speichel bedeckt war. Kate raffte ihr Kleid ein wenig an der Seite, damit es nicht mit dem Unflat in Berührung kam.
    Wir warteten gespannt, Minute um Minute, Leute strömten herein und hinaus, das Klappern und Quietschen der Briefkastenklappen aus Messing hörte niemals ganz auf. Ich war mir sicher, dass Kate den blauen Umschlag vor Augen hatte, der an einer Ecke angesengt und auf der Rückseite mit den letzten Worten eines Mannes bedeckt war. Sollten wir ihn wirklich zu sehen bekommen? Vielleicht nicht, es war ja durchaus möglich, dass er in einen der außen angebrachten Briefkästen eingeworfen werden würde, und bei diesem Gedanken war ich augenblicklich davon überzeugt, dass wir das ›Sendschreiben‹, das die ›Zerstörung des gesamten Welt … durch Feuer herbeiführte‹, niemals zu Gesicht bekommen würden.
    Und dann kam er; zehn Minuten vor sechs, wie die große Uhr in der Halle anzeigte, drängte er sich durch die schweren Türen. Hier kam er, schnellen Schritts, von der Wichtigkeit seines Tuns durchdrungen, ein schwarzbärtiger, rundbäuchiger Bulle von einem Mann; die Aufregung übermannte mich derart, dass ich ihn tatsächlich kaum sehen konnte. Als er wieder in mein Blickfeld geriet, kam er direkt auf uns zu, in seiner behaarten rechten Hand hielt er den taubenblauen, langen, schlanken Umschlag. Sein unförmiger Zylinder saß ihm flott auf dem Hinterkopf, sein offener Mantel, der durch die Eile seines Schritts hinter ihm herwehte, gab den Blick frei auf die geschwungene Kurve seines Bauches, den er angriffslustig nach vorne geschoben hatte. Das Kinn trug er hoch, sein steifer Bart stach fast horizontal in die Luft, so als fordere er die ganze Welt heraus, und im Mundwinkel steckte ein Zigarrenstummel.
    Eine imposante Erscheinung, die niemand so leicht vergaß; er sah mich nicht, er sah niemanden. Seine kleinen braunen, feurigen Augen blickten starr geradeaus, er war nur mit sich selbst beschäftigt. Und dann erlebten wir das, was der Anlass für unsere Rückkehr zu diesem Tag gewesen war.
    Er warf den langen blauen Umschlag in den Messingschlitz mit der Aufschrift City; einen Augenblick lang sah ich die

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