Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)
die Peitsche noch der Mann bewegten sich. Dann war die Kutsche vorüber und der Kutscher, der mit seinem Fuhrwerk bereits wieder in die Dunkelheit eingetaucht war, schrie eine Obszönität über die Schulter; unser Mann warf den Kopf nach hinten – ich dachte, sein Hut würde ihm vom Kopf fliegen – und lachte.
Wir gingen langsam weiter und waren fast auf gleicher Höhe mit ihm angekommen, als er sich wiederum suchend umblickte, um sich dann ungeduldig abzuwenden. »Wieso eigentlich ein Bus?«, sagte er halblaut, als sei er plötzlich selbst darüber erstaunt. »Warum sollte ich jemals wieder auf einen Bus warten!« Er trat auf den Bürgersteig; Kate und ich blickten auf die Straße und gaben vor, ihn nicht zu sehen; er war jetzt nur wenige Schritte vor uns. Zügig setzte er seinen Weg fort; wir blieben stehen und gaben ihm etwas Vorsprung.
Er ging nicht weit. Wir beobachteten ihn, während er eine Reihe von vier oder fünf Droschken abschritt, die an der Straßenecke auf Kunden warteten, und bei der ersten dann stehen blieb. »Nach Hause«, sagte er, als er die Tür erreicht hatte; seine Stimme klang glücklich und ausgelassen. »Nach Hause, den ganzen Weg, und stilvoll, wenn ich bitten darf.«
»Und wo soll das sein?« Die schwache Silhouette des Fahrers beugte sich herab, seine Stimme hatte einen spöttischen Unterton.
»Gramercy Park neunzehn«, sagte der Mann und stieg ein; dann schlug die Droschkentür zu, ich hörte den Kutscher das Pferd antreiben, die Zügel schnalzen und sah dann, wie die Droschke losfuhr und sich in den dünnen Verkehrsstrom unter den flackernden Laternen einfädelte. Ich wollte Kate etwas sagen, aber sie hatte den Kopf gesenkt und starrte auf den Gehweg hinunter.
Dort, direkt unter einem hölzernen Telegrafenmast, befand sich ein halbes Oval aus noch unberührtem Schnee; es lag genau in der Mitte des blassen Lichts der Straßenlaterne, und darunter trat klar und deutlich die Miniaturkopie des Grabsteins von Andrew Carmody in Gillis, Montana, hervor, dessen Fotografie mir Kate gezeigt hatte.
Mit tonloser Stimme murmelte Kate: »Das gibt es nicht.« Sie sah mich an. »Das gibt es doch gar nicht!«, wiederholte sie; ihre Stimme klang plötzlich gereizt. Ich wusste, was sie empfand; das hier war so weit von jeder vernünftigen Erklärung entfernt, dass man darüber verrückt werden konnte; ich nickte.
»Ich weiß«, sagte ich. »Aber du siehst ja, dass es das gibt.« Und es gab es noch immer; wir beugten uns vor und starrten es hilflos an. Die untere sowie die rechte und linke Seite waren gerade, die obere in einem perfekten Bogen ausgeführt, ganz genauso, wie der Entwurf einer Zeichnung für einen Grabstein, und in ihrer Mitte bildeten Hunderte von winzigen Punkten einen neunzackigen Stern in einem Kreis.
Die Droschke war längst verschwunden, als ich mich wieder aufrichtete; sie war im Verkehr und in der Dunkelheit untergetaucht. Aber das interessierte mich jetzt nicht. Mit zusammengekniffenen Augen stand ich da und blickte vor mich hin. Eine Sekunde lang hatte über dem Eisengerassel des dünner werdenden Broadway-Verkehrs ein Geräusch gelegen, ein vertrauter Ton am äußersten Rande meines Bewusstseins, und nun hatte ich es erkannt. Ich sagte: »Kate, möchtest du einen Drink? Vor einem großen warmen Feuer?«
»Ja. Ja, schrecklich gern«, sagte sie; ich hakte mich bei ihr ein, und wir gingen zur nahe gelegenen Kreuzung. Gegenüber stand auf einem der beleuchteten Schilder, Broadway, auf dem anderen Park Place. Und einen Block westlich von Park Place entfernt erblickte ich die Ursache des – klackernden und ratternden – Geräusches, das ich gerade eben vernommen hatte. Die drei hohen, schmalen Fenster waren rot erleuchtet, die vertraute Giebelform des Daches zeichnete sich schwarz vor dem nächtlichen Himmel ab. Dort, über der Straße, war eine Hochbahn-Station, die mir auf einmal wie ein alter Vertrauter erschien.
Wir überquerten den Broadway – es war nun nicht mehr schwierig, es gab kaum noch Verkehr –, und, auf der anderen Seite angekommen, blickte ich zurück. Es war in der Dunkelheit nicht leicht zu erkennen, aber hinter dem Postamt ragte ein fünfstöckiges Gebäude empor, das auch noch im New York des zwanzigsten Jahrhunderts steht. Im Unterschied dazu waren an diesem Abend die oberen Stockwerke mit Hunderten von Gaslichtern erleuchtet, und an der Seite des Gebäudes, in Stein gemeißelt und im Licht der oberen Fenster deutlich zu lesen, stand The New
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