Zelot
der Könige und Propheten zu setzen, die vor ihm gekommen waren, und vor allem, um gegen alle Kritik der Gegner Jesu, dass dieser einfache Bauer gestorben sei, ohne die eine, wichtigste messianische Prophezeiung – die Wiederherstellung Israels – zu erfüllen, zu beweisen, dass Jesus tatsächlich der «Gesalbte» war.
Matthäus und Lukas standen vor dem Problem, dass es keine einzelne, zusammenhängende prophetische Erzählung zum Messias in den Hebräischen Schriften gibt. Der oben zitierte Abschnitt aus dem Johannes-Evangelium ist ein wunderbares Beispiel für die allgemeine Verwirrung, die unter den Juden herrschte, wenn es um die messianischen Weissagungen ging. Denn auch wenn die Schrift- und Rechtsgelehrten selbstsicher verkünden, dass Jesus nicht der Messias sein könne, weil er nicht, wie die Prophezeiungen fordern, aus Betlehem stamme, so sagen andere aus der Menge, dass der Nazoräer nicht der Messias sein könne, weil die Prophezeiungen sagen: «Wenn jedoch der Messias kommt, weiß niemand, woher er stammt.» (Joh 7 , 27 )
Die Prophezeiungen sagen eben
beides
. Wenn jemand tatsächlich dem Ratschlag des skeptischen Pharisäers an die Menschenmenge bei diesem Fest folgen und «nachlesen» würde, fände er eine Unmenge widersprüchlicher Prophezeiungen über den Messias, die Dutzende Menschen über Hunderte von Jahren hinweg niedergeschrieben haben. Sehr viele von ihnen sind eigentlich noch nicht einmal richtige Weissagungen. Propheten wie Micha, Amos und Jeremia, die auf den ersten Blick das Kommen eines zukünftigen Erlösers aus dem Haus König Davids voraussagen, der eines Tages Israel wieder zu seinem früheren Glanz führen werde, üben eigentlich verdeckt Kritik an ihrem
gegenwärtigen
König und der bei ihnen
gerade herrschenden
Ordnung, die, so deuten die Propheten an, nicht an das davidische Ideal heranreichten. (Es gibt allerdings eine Sache, bei der sich alle Prophezeiungen offenbar einig sind: Der Messias ist ein menschliches, kein göttliches Wesen. Der Glaube an einen göttlichen Messias wäre ein Anathema für alles gewesen, wofür das Judentum stand, weshalb auch ohne Ausnahme alle Texte in der Hebräischen Bibel, in denen es um den Messias geht, ihn als jemanden darstellen, dessen messianisches Wirken sich auf Erden, nicht im Himmel vollzieht.) Wenn man also seinen bevorzugten Kandidaten in diese chaotische prophetische Überlieferung einpassen will, muss man sich erst einmal entscheiden, welche der vielen Texte, mündlichen Überlieferungen, bekannten Geschichten und Sagen man überhaupt in Betracht ziehen will. Und wie man diese Frage beantwortet, hängt weitgehend davon ab, was man über «seinen» Messias aussagen will.
Matthäus lässt Jesus nach Ägypten fliehen, um Herodes’ Kindermord zu entgehen – nicht weil es diesen Kindermord wirklich gab, sondern weil er so die Worte des Propheten Hosea erfüllt: «Ich rief meinen Sohn aus Ägypten.» (Hos 11 , 1 ) Die Erzählung soll nicht irgendeine Tatsache über Jesus offenbaren; sie soll die Wahrheit offenbaren, dass Jesus der neue Mose ist, der das Massaker des Pharao unter den Söhnen der Israeliten überlebte und mit einem neuen Gesetz von Gott aus Ägypten kam ( 2 Mos 1 , 22 ).
Lukas siedelt Jesu Geburt in Betlehem an, nicht, weil er dort zur Welt kam, sondern wegen der Worte des Propheten Micha: «Aber du, Betlehem …, aus dir wird mir einer hervorgehen, der über Israel herrschen soll.» (Mi 5 , 1 ) Lukas will ausdrücken, dass Jesus der neue David ist, der König der Juden, auf Gottes Thron gesetzt, um über das Gelobte Land zu herrschen. Einfach ausgedrückt, sind die Kindheitserzählungen in den Evangelien keine historischen Berichte, und sie sollten auch damals nicht als solche gelesen werden. Sie sind theologische Affirmationen von Jesu Status. Er ist der Gesalbte Gottes. Der Nachkomme König Davids. Der verheißene Messias.
Jenen
Jesus – den ewigen
logos,
durch den alle Schöpfung entstand, den Christus, der zur Rechten Gottes sitzt – wird man in Windeln gewickelt in einer schmutzigen Krippe in Betlehem finden, umringt von einfachen Schafhirten und weisen Männern, die ihm Geschenke aus dem Osten bringen.
Den realen Jesus jedoch – den armen jüdischen Kleinbauern, der irgendwann zwischen 4 v. Chr. und 6 n. Chr. auf dem Land in Galiläa geboren wurde – müssen wir in den zerbröselnden Lehmziegelhütten suchen, die sich im Weiler Nazaret unter dem Wind ducken.
Kapitel vier
Die
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