Zelot
sich ein Attentäter der Sikarier durch die Pilgermengen auf dem Tempelberg, bis er dem Hohepriester Jonatan nahe genug war, um einen Dolch zu ziehen und ihm die Kehle durchzuschneiden. Dann verschwand er wieder in der Menge.
Der Mord am Hohepriester versetzte ganz Jerusalem in Panik. Wie konnte der Anführer der jüdischen Nation, Gottes Repräsentant auf Erden, am hellen Tage mitten auf dem Tempelhof und offenbar straffrei getötet werden? Viele wollten einfach nicht glauben, dass der Schuldige ein Jude war. Es gab Gerüchte, dass der römische Statthalter Felix selbst das Attentat in Auftrag gegeben habe. Wer sonst konnte so gottlos sein und das Blut des Hohepriesters im Tempelbezirk vergießen?
Doch das Terrorregime der Sikarier hatte gerade erst begonnen. Mit dem Schlachtruf «Kein Herr außer Gott!» auf den Lippen griffen sie die Angehörigen der jüdischen Oberschicht an, raubten ihren Besitz, kidnappten ihre Verwandten und brannten ihre Häuser nieder. Mit dieser Taktik säten sie eine solche Angst in den Herzen der Juden, dass Josephus schreibt: «Schrecklicher noch als ihre Verbrechen war die Furcht, die sie verbreiteten. Jeder erwartete stündlich den Tod, wie im Krieg.»
Mit Jonatans Tod erreichte die messianische Begeisterung einen Höhepunkt. Unter den Juden herrschte weithin die Meinung, dass hier gerade etwas Umstürzendes passierte. Es war ein aus der Verzweiflung heraus geborenes Gefühl, genährt durch ein Volk, das sich nach einer Befreiung von der Fremdherrschaft sehnte. Der Glaubenseifer, der die revolutionäre Glut der Banditen, Propheten und Messiasse befeuert hatte, kursierte jetzt auch in der Bevölkerung wie ein Virus, das sich durch den Körper bewegt. Er konnte nicht länger auf dem Land eingedämmt werden; sein Einfluss war in den kleinen und großen Städten, ja sogar in Jerusalem zu spüren. Es waren nicht mehr nur die Kleinbauern und Ausgestoßenen, die flüsternd von den großen Königen und Propheten sprachen, die Israel früher schon von seinen Feinden befreit hatten. Die Reichen und die sozialen Aufsteiger spürten ebenfalls immer stärker den glühenden Wunsch, das Heilige Land von der römischen Besatzung zu säubern. Zeichen gab es überall. Die Schriften sollten sich bald erfüllen. Das Ende aller Tage war nahe.
In Jerusalem tauchte plötzlich ein heiliger Mann namens Jesus, Sohn des Ananias, auf und sagte die Zerstörung der Stadt und die bevorstehende Wiederkehr des Messias voraus. Ein anderer Mann, ein mysteriöser Zauberer, der sich nur «der Ägypter» nannte, erklärte sich zum König der Juden und scharte Tausende Anhänger auf dem Ölberg um sich, wo er gelobte, er werde wie Josua in Jericho die Mauern Jerusalems zu Fall bringen. Die Menge wurde von römischen Soldaten niedergemacht, der Ägypter allerdings entkam, soviel wir wissen.
Felix’ unbeholfene Reaktion auf all diese Ereignisse führte letztendlich zu seiner Abberufung. Er wurde durch Porcius Festus ersetzt, doch der erwies sich als ebenso unfähig im Umgang mit der unruhigen jüdischen Bevölkerung, egal ob auf dem Lande, wo die Zahl der Propheten und Messiasse, die Jünger um sich scharten und die Befreiung von Rom predigten, außer Kontrolle geriet, oder in Jerusalem, wo die Sikarier, die durch die Ermordung des Hohepriesters Jonatan Auftrieb erhalten hatten, jetzt töteten und raubten, wie sie wollten. Festus stand durch die schwierige Situation so unter Stress, dass er bald nach Amtsantritt starb. Sein Nachfolger Lucceius Albinus war berüchtigt für seine Dekadenz, seine Betrügereien und seine Inkompetenz. Er verbrachte seine zwei Jahre in Jerusalem damit, die Bevölkerung auszuplündern und sich auf ihre Kosten zu bereichern. Die kurze, turbulente Amtszeit seines Nachfolgers Gessius Florus blieb in Erinnerung, weil im Vergleich zu ihm die Jahre unter Albinus in der Rückschau geradezu friedlich wirkten – und weil er der letzte römische Statthalter in Jerusalem sein sollte.
Man schrieb jetzt das Jahr 64 n. Chr. Zwei Jahre später brachen sich Wut, Verbitterung und messianischer Eifer, die sich überall im Land aufgestaut hatten, in einer offenen Revolte gegen Rom Bahn. Cumanus, Felix, Festus, Albinus, Florus – jeder dieser Statthalter hatte Anteil am Jüdischen Aufstand. Rom selbst trug durch Missmanagement und überharte Besteuerung der überlasteten Bevölkerung die Schuld daran. Sicher hatte auch der jüdische Adel mit seinen ständigen Auseinandersetzungen und seinem kriecherischen
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