Zementfasern - Roman
aber es hatte ihr auch einen Zug ihres Wesens offenbart, den zu erforschen sie sich seit Jahren nicht mehr erlaubt hatte.
Durch Federicos Entschluss, allein am Bett seines sterbenden Vaters zu wachen, hatte sich eine alte Wunde geöffnet, aber er hatte Arianna auch vor eine Entscheidung gestellt. Sie würde handeln. Sie würde ihren ersten Totenkorb füllen, als wäre er für den eigenen Vater bestimmt.
Sie legte ihr ganzes Herz hinein. Als Erstes Bitterschokolade, dann eine Flasche Negroamaro, der schon im Namen die Wurzeln des Nekromanten trug, des Schattens, der die toten Seelen begleitet. Dann tat sie gepökelten Fisch hinzu, eine Meeräsche, sie erinnerte sich, dass diese kleinen Fische in den Tagen der Kopfsprünge mit Federico dicht unter ihrem Bauch vorübergeschwommen waren und beide versucht hatten, sie mit den Händen zu fangen, immer vergeblich, wurde ihr doch schon schwindelig, wenn sie die Schuppen streifte. Dann suchte sie weiße, reich mit Spitze besetzte Taschentücher aus, die nur zum Tränentrocknen taugten, bunte Krawatten, zwei, eine blau mit sichtbaren Nähten, die andere rot mit winzigen Rechtecken, zwei Kompositionen, die Mimi in der Fabrik gewebt hatte. Sie legte auch glasiertes Brot hinein, die dekorativen Brötchen, die die Bäcker zu Weihnachten backen, einen gestrickten Wollzopf, um sich warm zuzudecken, und zum Schluss suchte sie zwischen den Platten, die auf dem Tisch ihrer Mutter Staub und bestürzte Blicke anzogen. Sie fand eine, vielleicht die einzige, die sie kannte, die Single
My Way
von Frank Sinatra, die auf ihre Weise perfekt geeignet war, die Seele des Vope auf die andere Seite des Lebens zu begleiten.
Doch jetzt haltet inne, bevor ihr den Totenkorb für den Vope schmückt, es fehlt etwas. Es fehlt das Geschenk des Himmels, es fehlt Biagino, der zerstörte Mensch, der freundliche Mensch, der verhinderte Jesus der Via Crucis.
Nur ein zerstörter Mensch wird durch den Alkohol nicht gewalttätig. Nur die Zerstörten fügen sich nicht in die undurchschaubaren Endungen der menschlichen Angelegenheiten, nehmen keine Rücksicht auf Konventionen, brechen die Widerstände dessen, was erscheint.
Er rannte, Biagino rannte quer durch die Stadt mit einem Speichelfaden, der von den verschlossenen Lippen floh, es war ein quälender, verrückter Wettlauf, um das in Vopes Korb zu legen, was ihm von ihrer weit zurückliegenden Freundschaft geblieben war.
Umringt vom lärmenden Aufmarsch seiner Freunde, der Bestie, dem Rüpel, dem Pilz, Catone, mit gelben und roten Tüchern behängt, und der ganzen Horde, die sich bildete, sobald Biagino die Nase aus dem Haus steckte, kam er bei Vopes Haus an.
Im Haus, das zum Zeichen eines Todesfalls mit den grauen Wappen der Leichenfeier geschmückt war, stand ein gutes Dutzend enger Verwandter stumm um den Tisch herum. Sie aßen im Stehen und hielten die Köpfe gesenkt, keiner sah dem anderen in die Augen, die Ohren waren zur Tür hin gespitzt, in Erwartung der Besuche. In die Stille, die nur unterbrochen wurde, wenn das Geschirr klapperte und Kehlen sich räusperten, um nicht zu weinen, drang ein Lärm, der von draußen kam.
Federicos Mutter löste sich aus dem Reigen der Teilnehmer am Totenschmaus.
Entsetzt betrachtete sie Biaginos Heer, an der Spitze seiner persönlichen Eskorte stand das Ex-Kind aus dem gläsernen Haus mit einem Schal im Gesicht, hinter sich den Rauch von Knallkörpern und den Dunst der Morgenröte.
»Was bringst du in dieser Tüte, Biaggì?«
»Ich muss dem Vope was zurückgeben.«
»Biaggì, hast du getrunken?«
»Getrunken bin ich immer, Gevatterin, aber ich muss das hier in Ariannas Totenkorb tun. Meine Schwester hat’s vergessen.«
Die Dringlichkeit, die sich in Biaginos Augen eingezeichnet hatte, war umgeben von einer Erinnerung an Wahrheit und Wunder, getreu der Vermutung, der Vope sei noch am Leben.
Im Totenkorb landete dann eine kleine Flasche Bier, ein
soldatino
, der kleine Schilderhauswächter über ihr Geheimnis, als der Vope ihn den ersten Schluck von einem Getränk hatte probieren lassen, das erst weiß wie Milch und dann gelb wie Gold war.
Der tote Freund würde ihm dafür seinen Dank erweisen, und Celestino würde nicht mit der Wimper zucken. Denn in manchen Dörfern weit weg von den Großstädten sind es häufig die Toten, die sprechen, und die Lebenden, die schweigen.
Mimi nähte flink zwei, drei, vier, fünf Stoffbänder. Sie legte sie dem jungen Mädchen zur Prüfung vor, einem weißen Gespenst mit
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