Zenjanischer Lotus (German Edition)
brummte Geryim, während er einen Strang Lederbänder miteinander verflocht, nur um sie wieder zu lösen
und von vorn zu beginnen.
Die fließenden Bewegungen seiner Hände machten Sothorn wahnsinnig.
„Nach was ist dir denn? Falls es etwas damit zu tun hat, dass du mich endlich in Ruhe lässt, hätte ich verdammt noch mal nichts dagegen.“ Am Rande seines Bewusstseins
wusste er, dass er sich schäbig benahm. Aber er war nicht länger Herr seiner Zunge, die ungefragt Gift versprühte und darauf wartete, dass sie eine Wirkung erzielte. „Geh mit
deinem Hühnchen kuscheln oder übe dich im Kampf, denn das hast du wahrlich nötig. Nur geh.“
„Nichts lieber als das“, gab Geryim zurück.
Sein Unterkiefer bewegte sich fahrig von einer Seite auf die andere. Die Sehnen in seinem Hals traten hervor, während er die neuerliche Beleidigung zu verdauen versuchte.
„Dann sind wir uns ja einig.“
„Wie oft soll ich dir noch sagen, dass ich bleibe? Ich habe keine Wahl, du hast keine Wahl und jetzt halt den Mund. Du gehst mir auf die Nerven.“
Sothorns Augen wurden schmal. Er ging Geryim auf die Nerven? Wer von ihnen war denn eingesperrt? Wer von ihnen fühlte sich denn wie ein Seil kurz vor dem Reißen? Wer von ihnen musste
sich denn damit abfinden, dass er von der einzigen angenehmen Sache in seinem Leben ablassen musste?
In all den Jahren war der Zenjanische Lotus sein bester Freund, sein engster Verbündeter und sein einziger Liebhaber gewesen. Seine Mutter, sein Vater, sein Kissen und das Haus, in dem er
sich sicher fühlen konnte.
Sie verlangten von ihm, dass er all das aufgab. Geryim und die anderen, die behaupteten, dass es nötig wäre, aber selbst draußen in der Festung umherschlichen und hatten, was er
verzweifelt brauchte.
Sothorn konnte sich nicht erinnern, schon einmal solchen Hass empfunden zu haben.
Auf Stolan von Meerenburg, auf seine Eltern, die ihn nicht gerettet hatten, auf die Bruderschaft, die ihn folterte, auf jedes seiner Opfer, weil es ihn nicht überwältigt hatte, auf den
Stein, der ihn umgab, auf die Stimmen aus der Vergangenheit, die ihn an diesem Tag im Stich ließen und vor allen Dingen auf Geryim, der das Brennglas all dessen war, was Sothorn
quälte.
Geryim war schuld. Allein, wie er dort an der Wand saß, mit seinem elegant aufgestellten Bein in seiner Lederkleidung, die vom langen Gebrauch geschmeidig geworden war. Mit den albernen
Zöpfen an den Seiten, die ihm die Haare aus dem Gesicht hielten.
Allein, wie er gereizt einatmete, wenn ein weiteres Stück Brot in seine Richtung flog, regte Sothorn so sehr auf, dass er Magenschmerzen bekam.
„Du widerst mich an“, verkündete er im Brustton der Überzeugung, bevor die schwarze Woge in seinem Inneren ihn erstickte.
Wild kratzte Sothorn sich am Bauch und am Unterarm, obwohl es gar nicht juckte. Es kribbelte lediglich heftig, da sich lange gepeinigte Nervenenden allmählich erholten und unermüdlich
tanzten.
Geryim antwortete zu Sothorns Verdruss nicht, aber er konnte sehen, dass es im Gesicht seines unliebsamen Gastes zuckte.
Nur einmal ... nur ein einziges Mal wollte er miterleben, wie Geryim die Beherrschung verlor.
Sothorn hasste es, ignoriert zu werden.
Er war sich nicht sicher, ob es sich um einen neuen Charakterzug an ihm handelte. Aber er konnte es nicht ertragen, dass Geryim sich nicht provozieren ließ und eisern um eine
Selbstbeherrschung kämpfte, die Sothorn verloren hatte.
Innere Dämonen führten seine Hand, als er nach der halb vollen Schale mit Eintopf an seiner Seite griff und sie in einer fließenden Bewegung nach Geryim schleuderte. Er genoss
den Anblick der Gemüsebrocken, die sich gleichmäßig auf dessen Schultern und Gesicht verteilten und ein hübsches Muster auf dem Lederhemd bildeten.
Endlich kam Bewegung in Geryim. Mit der Anmut einer Wildkatze sprang er auf die Beine und schrie: „Was ist eigentlich mit dir los? Willst du eine Tracht Prügel haben?“
Auch Sothorn erhob sich – aufgrund der körperlichen Schwäche langsam und weit weniger elegant als sein Kontrahent. Leicht senkte er den Kopf, sodass er Geryim von unten
herauf anfunkeln konnte.
Seine Schneidezähne entblößten sich, als er zischte: „Du mich verprügeln? Einen Angeber wie dich schlage ich noch auf meinem Sterbebett zusammen.“
„Wenn du so weiter machst, kommst du da eher an als dir lieb ist“, konterte Geryim.
Sothorn genoss es, eine Reibungsfläche gefunden zu haben, endlich seinen eigenen Zorn
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